Der Kunde ist gar keine Person?

12. August 2016 - Ralf Hildebrandt

Der Kundendienst-Chef befindet sich auf einer längeren Autofahrt zu einem Kunden. Deeskalation. Mal wieder. Die Gerätschaften, die sein Unternehmen vertreibt, werden immer komplizierter. Seine letzten drei Telefonate (natürlich hat dabei immer angehalten!) haben sich nur darum gedreht, dass kein Mensch das alles mehr in den Kopf bekommen kann. Aber durch das Wehklagen seiner Leute hindurch hat er heraushören können, dass sich aller Schwierigkeiten zum Trotz ein paar echte Spezialisten unter seinen Ingenieuren herausgebildet haben. Und es gibt wohl auch Techniker, die fast schon zu Beratern mutiert sind. Und sich damit auch ganz wohl zu fühlen scheinen. Solange man ihnen allerdings auf keinen Fall sagt, dass das was sie da tun, Beratung ist! 

Seine Organisation hat sich wohl entsprechend der Marktdynamik angepasst. Aber es knarzt an allen Ecken. 

Er denkt darüber nach, was er tun kann, um diese kluge Entwicklung zu fördern. Zugegebenermaßen hatte er bis hierhin gar nichts beigetragen, denkt er sich. Aber wozu auch? Eine Organisation passt sich den Verhältnissen scheinbar von selbst an – ganz ohne Change Management. Langsam zwar. Aber immerhin. Viel wichtiger ist, dass er hinter den Klagen seiner Leute das Problem gewittert hat. Und er den Schwung nun nutzen will. 

Zum einen braucht es also offenbar Spezialisierung. Damit Experten die Kompliziertheit der Geräte im Griff haben können, wenn es in die Bits und Bytes der Technik geht. Zum anderen braucht es Generalisten. Die sich um den Teil seiner Kundschaft kümmern, der Verantwortung für die generellen Themen des Unternehmens trägt. Die Kunst liegt darin, die Balance zu halten. Zwischen denjenigen, die ganz weit hinab steigen können und denen, die ganz bewusst oben bleiben. Damit sie vom Kunden trotz aller Kompliziertheit noch soweit verstanden werden können, um in ihrem Interesse Entscheidungen zu treffen.

Beim Nachdenken über eine (nun bewusste) Anpassung seiner Organisation helfen ihm in dieser Situation 2 Denkwerkzeuge: 

  1. Eine Organisation ist immer (nur) ein Modell des Marktes.
  2. „Der Kunde“ ist keine Person – sondern eine Struktur (ja, das ist merkwürdig).

Was genau ist damit gemeint?

  1. Eine Organisation kann immer nur ein Modell des Marktes sein. Jedes Modell muss großzügig sein, Vernachlässigungen machen, Dinge weglassen. Wichtig ist dabei nur, dass man das Unwichtige weglässt und das Wichtige berücksichtigt. Eine Organisation muss immer abstrahieren. Es gibt da draußen eben sehr viele Unterschiede und die kann man nicht alle in der eigenen Organisation abbilden wollen. Das wäre eine kombinatorische Explosion. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass zwar alle Kunden unterschiedlich sind. Aber auch, dass bei fast allen Kunden etwas Bestimmtes wichtig ist und nur bei einigen wenigen etwas anderes. So muss man sich experimentell an seine eigene Organisation „heranrobben“: Ist es jetzt erst einmal so richtig, oder geht es noch ein bisschen besser?
  2. Es könnte auch sein, dass sich die Kundenstruktur klammheimlich geändert hat.

    Group of friends sitting outdoors with shopping bags - Several people holding smartphones and tablets - Concepts about lifestyle,shopping,technology and friendship

    Weil die Technik fortgeschritten ist. Dass sich also die Art und Weise, wie der Kunde angesprochen werden will, geändert hat. Dann muss auch die eigene Organisation anders sein. Es lohnt sich, da genauer hinzuschauen. Denkt man sich „den Kunden“ nun nicht als Person, sondern als eine Struktur, kann man besser unterscheiden. Etwa je nachdem, welche Kommunikation gerade ansteht: Geht es um Technik? Um Finanzierung? Um Strategisches? Je nachdem, mit welcher Funktion ich beim Kunden rede, ist die Kommunikation anders. Deshalb muss die Struktur, die man bei seinem Kunden vorfindet, im eigenen Unternehmen abgebildet sein. Wenn ein Kunde seinen Ingenieur zur Besprechung schickt, muss er einen anderen Ansprechpartner haben, als wenn ihm sein Banker gegenübersitzt. Meist bekommt man das nicht mehr in einen Kopf hinein. Und dann braucht man auch auf Anbieterseite eine Struktur, die ähnlich vielfältig ist.

Wem das glasklar erscheint, der versteht „Kunde“ vielleicht schon lange als eine Struktur. Allerdings ohne dass das bewusst wäre. Wenn es nun auch verstanden ist, kann man seine Kollegen ja beim Denken unterstützen. Bevor die sich in die nächste „Kundenbefragung“ stürzen.

Helfen Sie anderen, wenn Ihnen klar geworden ist, was sie talentiert längst schon tun.

Bis nächste Woche!

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Bildnachweis: istockphoto oneinchpunch 80217451

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