Fette Verkäufer

25. August 2016 - Ralf Hildebrandt

Der Vertrieb des mittelständischen High-Tech-Unternehmens aus unserem heutigen Beispiel hat sich in Teilen – sagen wir zu einem Fünftel – in Richtung Projektvertrieb gewandelt. Damit ist gemeint, dass einzelne Verkäufer zu Projektleitern mutiert sind (nicht etwa, dass sie Projekte vertreiben würden). Sie haben das selbst nicht bemerkt. Mit tatkräftiger Hilfe ihrer Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen und externen Partnern lösen sie das Kundenproblem. Sie tun das, weil die Kundenthemen heute so vielschichtig geworden sind, dass sie mit ihrer Kompetenz nicht mehr alles im Horizont haben können. Mit klassischem Produktverkauf hat das nichts mehr zu tun.

Ganz im Gegenteil. Es wird immer schwieriger, um die komplizierten Gerätschaften herum etwas Zweckmäßiges maßzuschneidern. Diese „modernen“ Verkäufer verzichten sogar auf Incentives. Auch dazu werden sie von der Realität erzogen, wenn das Produkt nicht mehr im Mittelpunkt steht. Ihre „Lernumgebung“, an der sie wachsen, ist nicht mehr die Vorgabe des Managements, was im nächsten Quartal zu verkaufen ist. Sondern der Hilfe suchende Kunde, der vorankommen muss. Dem gefällt das mit neuen Features gepimpte Produkt zwar. Aber er weiß auch, dass „schön“ kein Geld verdient. 

Im Prinzip doch kein Problem, könnten Sie meinen. Das scheint doch eher ein Glücksfall zu sein. Man müsste im Management nur die Rahmenbedingungen schaffen, um diese Art von Verkauf zu fördern. Dann könnte man nutzen, was man sich durch Aktivität am Markt eingehandelt hat.

Im Prinzip stimmt das auch. Aber Sie ahnen es  – in der Praxis ist das nicht ganz so einfach.

Dem durchaus sinnvollen Ansinnen stehen der Immunapparat (die durch und durch auf Produkt getrimmte Struktur) und der blinde Fleck des Managements gegenüber. Letzteres hat damit zu tun, dass dem Management eben diese tägliche Lernumgebung eines Verkaufs an der Front nicht zur Verfügung steht. Sporadische Kundenbesuche helfen nicht dabei, damit sich eine ganz bestimmte Haltung entwickeln kann. Und genau diese ist die Voraussetzung dafür, dass sich ein Kunde auch mit einem diffusen Anliegen vertrauensvoll an jemanden aus einem anderen Unternehmen wendet (im Prinzip ja eine peinliche Angelegenheit, wenn man nicht weiß, was man wollen soll). 

In dieser Situation verwundert es kaum, dass auch das dazu passende Marketing selbst vom Verkauf erzeugt wird. Denn von den Kollegen aus dem Produktmarketing erhalten sie keine Hilfe. Sie werden zwar gefragt, was sie denn an Unterstützung bräuchten. Aber sie finden nicht einmal die Worte, um zu beschreiben, was das sein könnte. Also „fressen“ sie sich diese Qualifikation auch noch an. Eine ungesunde Häufung von Funktionen entsteht. Projektleitung, Beratung, Marketing, Verkauf… Mit Nachteilen. Der Verkäufer verkauft weniger und er erledigt Arbeit, die er allenfalls mit durchschnittlichem Können leisten kann.  

The size of stomach of children with overweight on gray background

So entstehen fette Verkäufer. Damit ist also nicht gemeint, dass dieselben Trost in erhöhter Kalorienaufnahme suchen. Auch wenn das manchmal ein Begleiteffekt ist, wenn man sich nicht verstanden fühlt.

Unter Fettsucht verstehen wir die Tendenz, Zulieferprobleme durch Selbstmachen zu lösen. Damit wird die Zuständigkeit eines Projektes so lange ausgeweitet, bis kein Überblick mehr gewonnen werden kann. Was eigentlich aus verschiedenen Abteilungen des Unternehmens zugeliefert werden sollte, wird im Projekt dupliziert.

Fettes Ding. 

Bis nächste Woche!

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