Kundige Verkäufer

14. Juni 2017 - Ralf Hildebrandt

Läuft es bei Ihnen im Verkauf, werte Leserinnen und Leser? Oder könnte es besser sein? Vielleicht haben Sie auch nur das diffuse Gefühl, dass es anderswo besser läuft. Oder Sie haben vor ein paar Monaten einmal einen Sales-Plan verfasst (bekommen), der sich nicht erfüllt hat. Nun werden Sie nervös und Sie müssen handeln… 

Die meisten Leser werden wohl wenig mit dem Verkauf zu tun haben. Bleiben Sie trotzdem dran – es geht heute nicht nur darum.   

Versetzen wir uns einmal in die Situation eines Vertriebsleiters, der von seinem Chef im GL-Meeting letzte Woche auf die Lücke zum Plan verwiesen wurde. Die Schonfrist (Q1) ist vorbei und in Q2 sieht es mau aus. Das kommt etwas überraschend – letztes Jahr um diese Zeit sah es sehr gut aus. Erkennbar hat sich im Markt nicht viel getan. Die Kunden sind´s zufrieden und den Konkurrenten ist auch nichts Neues eingefallen. Und als langjähriger Vertriebsleiter kennen sie das Spiel mit den Forecasts. Sie wissen, dass man mit Plänen leben muss – bzw. sie am besten „einfach“ erfüllt. Um sich in Ruhe dem wirklichen Geschäft zu widmen. Nur ein Anfänger würde über Sinn und Unsinn von Plänen bei Dynamik vor der gesamten Geschäftsführung jammern. 

Sie verstehen sich auch mit dem Chef. Er unterstützt sie nach Kräften. Nur versteht er eben nichts vom Verkaufen. Er versteht nichts vom (komplexen) Zusammenspiel von Verkäufern, Interessenten und Konkurrenten. Und auch kaum etwas davon, was es bedeutet einen möglichen Bedarf und die eigene Kompetenz in Resonanz zu bringen. Bisher war das kein Problem – sie konnten ganz gut damit leben. Es lief ja und sie hatten freie Hand. 

Aber nun muss ihn irgendjemand wuschig gemacht haben. Er hält ihnen ein Papier unter die Nase. Eine Studie. 100 Firmen haben teilgenommen – über 15.000 Sales Reps! Muss also richtig sein. Die Studie* erinnert mahnend daran, dass mehr als die Hälfte der Value Creation eines Unternehmens schließlich am Verkauf hänge. Und dass ein effektives Sales-Team besonders in diesen wirren Zeiten äußerst wichtig ist. Es ist natürlich sehr viel schwieriger geworden, diesen Hebel richtig einzusetzen. Eine Folge davon ist, dass der Unterschied zwischen den sogenannten Low-Performern und den Besten das 6-7 fache (!) betragen kann. Und trotzdem haben die meisten Unternehmen nicht einmal ein ordentliches Tool, um Verkaufsleistung zu messen. Um diesen Mangel aus der Welt zu schaffen, hat man ein neues Tool entwickelt, welches die sogenannte Sales-DNA eines optimalen Verkäufers (Datenbasis aus der Studie) festlegt. Darauf bezogen lassen sich alle Talent-Management-Aktivitäten ausrichten. Wie es die Besten der Branche ja auch tun. Man fokussiert sich damit auf die wesentlichen Dinge und kann die Entwicklung der Sales Force entsprechend ausrichten. Und am besten sei es, man behandele seine Sales-Force so, wie man auch einen Kunden behandelt. 

Der Vertriebsleiter kennt Skill-Gap-Analysen seit 20 Jahren. Das hat nie zu etwas geführt. Früher spielte man das Theater eben alle 3 Jahre mit und die Kollegialität hat den Rest der Turbulenzen eingeebnet. Dann und wann lernte man sogar einen interessanten Trainer kennen. Konnte man aushalten. Aber nun solle man auch noch den Vertrieb wie einen Kunden behandeln – von wegen optimaler Sales Experience? Was soll das denn sein? Unglaublich. In letzter Zeit nervt den Vertriebsleiter die Schlagzahl der wiederkehrenden Initiativen nur noch. Und der Ton. Ist denn alles nur noch schwierig? 

Was meinen Sie, liebe Leser? Ist denn alles nur noch schwierig? 

Ist es nicht. Die Welt war schon immer lebendig – schon immer komplex. Das ist kein Makel. So ist das. Und die meisten erfreuen sich daran, dass immer wieder mal ´was Neues los ist. Im Club-Urlaub bezahlt man den Animateur sogar dafür, dass er sich immer wieder ´was einfallen lässt. Wehe, er führt immer denselben Pool-Dance vor!

Die Lebendigkeit der Welt ist nur ein Problem, wenn man versucht, sie mit tayloristischer Denke in den Griff bekommen zu wollen. Wenn man zum Beispiel alles, was einen findigen Verkäufer ausmacht, in ein allgemein gültiges Skill-Profil pressen will.

Früher war das Lebendige, das Überraschende in der Produktion allenfalls eine Randerscheinung. Man hat wohl über die Zeit ganz vergessen, dass es beim Verkauf neben mause-toten Stellenbeschreibungen auch noch auf etwas anderes ankommt. 

Unser Vertriebsleiter hat recht mit seiner Vermutung, dass hier irgendwie falsch gedacht wird. Und wenn die Basis des Denkens unzulänglich ist, sind die Konsequenzen daraus natürlich albern.

Was wird denn falsch gedacht? 

1. „Klassische“ Denkansätze erkennen Sie daran, dass sie immer einen Menschen (in diesem Fall „den“ Verkäufer) zugrunde legen. Den Menschen ohne das ganze Drumherum, was man Gesellschaft nennen könnte. Aber den gibt es so eigentlich gar nicht.
Trotzdem denkt man von da aus weiter. Der Mensch begibt sich zu einem anderen Menschen (Interessent) und dort findet dann Kommunikation statt (eine Customer Experience).
Schließlich fragt man sich dann nur noch, wie diese Art der Kommunikation gestaltet werden muss, damit möglichst viel Verkauftes dabei herauskommt.

2. Was Wirtschaft ist, wie Bedarfe überhaupt enstehen, was Mode oder was Marke ist – all das kommt auch nicht vor. Eigentlich spielt nicht einmal der Verkäufer selbst (damit ist der Heinz gemeint, die Anne, der Stephan) eine Rolle. Also ob er sich wohl fühlt, ob er gut drauf ist, oder gerade eine Krise mit sich ausfechten muss. Alles egal.
Es gibt die eine, richtige DNA – ein Skill-Profil – und fertig. Wozu sich also konkret mit Verkaufstalenten beschäftigen? Das macht jetzt ein Tool.

3. Manche Verkäufer (alternativ streiche  man „Verkäufer“ und setze eine andere Funktion)  unterscheiden sich von anderen tatsächlich dadurch, dass sie einfach gerne verkaufen!
Das gibt es. Es gibt Menschen, die man nicht zum Jagen tragen muss. Die SIND Verkäufer. Die machen das zur eigenen Selbstverwirklichung – oft sogar zur eigenen Entspannung. Um sowohl in einer Niederlage als auch im Triumph ihre eigene Person zu realisieren. Das wird unterschlagen.

Der Mensch ist vielmehr immer ein defizitäres Unterfangen – eine Ressource, die es zu nutzen gilt („leveragen“). Man muss ihm immer das beibringen, was man von ihm will.

Und das soll dann ausgerechnet eine Wissenschaft („Research“) leisten, die immer nur nach demselben fragt – nach „dem Besten“? 

Unser Vertriebsleiter wird mit dieser Erkenntnis sicher etwas anfangen können. Denn er ist nicht nur Verkäufer, sondern auch Manager mit Leib und Seele. Ob er nun wohl ein Führungsseminar für Verkaufschefs im digitalen Wandel besucht? 

Bis übernächste Woche!

*selbstverständlich gibt es die Studie tatsächlich und es gibt auch das Tool.

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Bildnachweis: iStock photo © wellphoto 153518995

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