Net gschumpfa isch gnug globt

5. September 2017 - Ralf Hildebrandt

Vorauseilender Dank gilt im Rahmen des heutigen Beitrages an unsere werten Leserinnen und Leser aus dem Nicht-Süddeutschen Sprachraum. Dafür, dass Sie diesen Beitrag nicht gleich zugeklickt haben, sondern neugierig geblieben sind. 

„Net gschumpfa isch gnug globt“ heißt soviel wie „Nicht zu schimpfen ist genug des Lobes!“ Da muss man erst einmal darauf kommen. So etwas findet sich gerne im süddeutschen (schwäbischen) Sprachraum wieder. Zumeist zusammen mit einem leicht gequälten Blick dessen, der sich gar nicht mehr einer – zumindest kleinen – Anerkennung erwehren kann. Oft allerdings erst nachdem er mit der Nase darauf gestoßen wurde.

Ob jemandem ein Lob zuteil wird, ist natürlich nicht nur vom kulturellen Umfeld abhängig. Es kommt auf die Situation an. Mancher fühlt sich dabei zuweilen auch etwas unwohl. Denn ein Lob erzeugt auch immer Hierarchie. Loben kann schief gehen. 

Wer steht es um die Anerkennung der Arbeit (Leistung) in dynamischer Umgebung? Kann ein Chef Sie noch ernsthaft „loben“? In träger Marktumgebung wohl schon. Man kann davon ausgehen, dass man sich einen Wissensvorsprung erarbeiten und den auch halten kann. Bin ich in einer entsprechenden Position, erteile ich eine Anweisung und ein anderer führt sie aus. Gelingt das mehrmals hintereinander, spreche ich ein Lob aus. Wenn es fehlt, kann ich mit etwas Glück mit Nachsicht rechnen oder bekomme im 360°-Feedback die Quittung. Man kann dann versuchen, sich das passende Verhalten in Seminaren anzueignen. Manch einer ungelenk, andere vielleicht geschickter.

Was aber, wenn Wissensvorsprung als Grundlage von Hierarchie nicht mehr zur Verfügung steht? Wenn die Chefin gar nicht mehr wissen kann, was richtig oder falsch ist? Incentive hin oder her? Woran orientiert sich Arbeit dann?

In manchen Unternehmen kann man ein besonderes Kulturelement finden, welches dieses Problem löst. Den Unternehmen selbst ist es meist nicht explizit bekannt. Wir nennen es „Das Widerständige Nest„.

Die Nestchen entstehen unter bestimmten Voraussetzungen. Zum Beispiel, wenn ein nicht ignorierbarer Reiz auf eine Organisation trifft. Einen solchen Reiz nennen wir ein Problem – etwas, das nicht so bleiben kann wie es ist und – das ist wichtig – von außen auf das Unternehmen trifft. Vielleicht hat sich ein Konkurrent etwas einfallen lassen und die Kunden laufen in Scharen über.

Wenn so etwas eintritt, kann kein Prozess angeworfen werden. Auch (interne) Eskalation zur Schuldigensuche inklusive Machtwort würde die Kunden nicht zurückbringen. Was könnte man tun? 

Man würde vielleicht schnell etwas am Angebot ändern, 3 Kunden um sich scharen und es ihnen zum Ausprobieren geben. Und dann beobachten, was sich tut. Das geht gar nicht so einfach, meinen Sie? Da haben Sie recht – es ist sehr risikoreich und schmerzhaft, weil es erst einmal nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat. Kaum hält man die Nase aus dem Fenster ist sie auch schon blutig. 

Dann kann man nur hoffen, dass Sie in Ihrem Unternehmen ein widerständiges Nestchen vorfinden können. Sonst werden Sie das nicht noch einmal wagen. Der Name erinnert an die beiden Komponenten aller Innovation: den Widerstand, um zu lernen und die Geborgenheit, um Niederlagen zu verkraften. Denn Innovation ist immer nur als letztes Glied einer Kette von größeren oder kleineren Irrtümern zu haben. 

Den Widerstand, um zu Lernen liefern die Kunden (und Konkurrenten) für welche Ihr neues Vorhaben interessant sein muss. Nur in dieser Umgebung können Sie feststellen, ob ein Ergebnis nur „schön“ ist, oder auch für eine bezahlte Rechnung (Wertschöpfung) taugt. Denn ein Urteil über Arbeit kommt von außen. Sie müssen sich der harten Realität aussetzen. Und weil man die nehmen muss, wie sie ist, bleibt Ihrem Manager nur, für Nestwärme zu sorgen. Damit kleinere und größere Niederlagen nicht nur intellektuell, sondern auch emotional verdaut werden können. Niemand arbeitet gerne lange an einer Idee, die die Welt bewegen soll, nur um dann festzustellen, dass sich einfach niemand dafür interessiert. 

In jedem Fall muss die harte Widerständigkeit einer Lernumgebung (außen) und die Geborgenheit durch Nestwärme (innen) zusammenkommen, damit Innovation gelingt. Fehlt die Widerständigkeit entsteht Verwöhnung. Fehlt die Nestwärme, entsteht Frust.

Vielleicht klingt das etwas ungewohnt. Widerständigkeit bedeutet einfach nur, dass der Markt und Ihr Vorhaben gekoppelt sein müssen. Sie müssen füreinander unwiderstehlich sein. Das Eine darf nicht allzu lange vor sich hin nudeln, ohne dass das Andere davon etwas mitbekommt. Schließen Sie sich mit Ihren Ideen gerne ein, müssen Sie damit leben, dass Sie nur auf Basis Ihrer eigenen Kompetenz lernen können. Das reicht eigentlich nirgends mehr aus.

Und Menschen können sich nur entfalten, wenn sie etwas, was schiefgegangen ist, noch einmal probieren können. Deshalb ist es wichtig, dass Härte und Wärme koexistieren.

Der Job Ihres Chefs ist es also nicht, durch ein Nestchen der Realität die Härte zu nehmen. Er kann Ihre Taten wohl auch nicht mit fundiertem Lob oder Tadel bedenken. Das müssen Sie sich woanders holen. Wenn Sie Glück haben, baut er gerade das Nest aus. Damit Sie es ein wenig kuschlig haben, wenn sich Ihr Federkleid bei den Ausflügen allzu sehr zerzaust hat.

Bleiben Sie nur nicht zu lange sitzen. 

Bis übernächste Woche!

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