Schulung und Training – alles eine Soße?

9. Juni 2015 - Ralf Hildebrandt

Es ging darum, ein neues Geschäftsfeld in Angriff zu nehmen – die Geschäftsführung hatte das Gefühl, dass es da etwas zu holen gibt. Der Vertriebsleiter wurde hinzu gerufen. Offensichtlich musste im Vertrieb ´was passieren, damit man die Chancen auch realisieren kann: neue Struktur, andere Incentives, andere Skills. Welche? Das bekommt man in einer Gap-Analyse heraus. Dann werden die Skillprofile definiert und daraufhin die Salesforce „geschult“. Benötigt man statt Produkten mehr Beratung? Schulung! Benötigt man mehr Projektorientierung? Schulung! Oder mehr „Solution-Fokus“? Schulung! 

Wir wollen hier nicht neunmalklug erscheinen. Wir stecken nicht in der Haut eines Managers, der mit den Strukturen des Industriezeitalters zu kämpfen hat. Eines aber fällt auf – man findet auf den Folien der Initiativen keine Namen – von Menschen. Von Menschen mit ganz individuellen Talenten. Skillprofile schon. Und die Anzahl der Skillprofile („headcounts“), die man braucht. Die Anzahl der Headcounts ist definiert und sakrosankt. Ohne Rücksicht auf vorhandenes Talent. So ist das normal. Und es hat seinen Grund. 

Im Taylorismus war die Grundidee, dass man sich gegenüber Talent robust gemacht hat. Eine handvoll Talente hat genügt. Dazu ein Prozess und der Laden lief. Man konnte sich für das Gros der Truppe also auf das Wissen beschränken. Man konnte alles lernen – auch Verkauf. Mit der Zeit verschmolzen so die Begriffe Schulung und Training. Beide werden heute synonym im Business verwandt.

Dabei ist zwischen Schulung und Training ein so extremer Unterschied wie zwischen schwarz und weiß. 

Schulung vermittelt Wissen, Training vermittelt Können. Für mehr Wissen lernt man. Für mehr Können übt man. Beides zusammen nennt man dann Kompetenz. Beispiel: wo ist der Unterschied  zwischen einem durchschnittlichen und einem sehr guten Projektmanager? Dass der eine eine Auszeichnung nach der Schulung erhalten hat? Und der andere nicht? Kaum. Vielleicht eher, dass der sehr gute Projektmanager einer ist, der dafür sorgen kann, dass es am nächsten Tag weitergeht. Auch wenn es am Tag zuvor Tränen aus Wut und Verzweiflung gegeben hat. Weil man mit dem dritten Prototypen gescheitert ist. So etwas kann man nicht aus einem Buch oder in einem Seminar gelernt haben wollen. Das ist Talentsache. 

In der Dynamik heute ist es wieder wichtig geworden, diesen Unterschied zu sehen. Nur bei ausreichend Talent hat Üben einen Sinn. Im Sport ist das eine Selbstverständlichkeit. Da gibt es Talentscouts, man spricht von Talentförderung, man trainiert auf dem Platz (Körper, Gefühle, Reflexe!) und bespricht die Spielstrategie (Kopf, Verstand, Nachdenken!) im Vereinsheim (oder sonstwo). Ein Stürmer hat den richtigen Riecher für Tore. Eine Umschulung auf die Abwehr kommt niemand in den Sinn. Nur weil man gerade mehr Abwehrspieler braucht. Können und Wissen sind ganz klar getrennt. Im Spiel, also in hochdynamischer Situation, verschmilzt beides. 

In ordentlich durchstrukturierten Unternehmen hat „Üben“ bzw. „Training“ nur noch informell einen kleinen Platz. Systematische Talentförderung in Meister/Schülerverhältnissen ist kaum mehr zu finden. Schulungen, wie z.B. Sales-„Trainings“, finden an maximal 2 Tagen pro Jahr statt. Extern zugeliefert. Wie bereits gesagt – natürlich macht eine Schulung Sinn, damit man seine Produkte auch kennt. Das kann man lernen.
Aber von wem (!) lernt man seine Gefühle, seine Phantasie, seine Intelligenz so einzusetzen, dass beim Kunden eine Vertrauenssituation entsteht? Training hieße dann, man geht mit einem Verkäufer mit und schaut, was man lernen kann. Wenn man überhaupt erkennen kann, was ein (erfolgreicher) Verkäufer macht. Der kann nämlich nur zeigen, was er tut. Er kann es nicht erklären. Auch wenn er das auf Nachfrage natürlich immer gerne tut. Damit kann aber niemand im Ernst etwas anfangen. Man muss selbst herausfinden, was man damit machen kann.
Im Gegensatz dazu kann man Wissen schön geplant nach Schema X vermitteln. Man kann es vorgetragen bekommen oder nachlesen. Einfachst budgetier- und zertifizierbar. Schule. 

Natürlich gibt es auch im Training allerlei Hilfestellungen und Werkzeuge – gute Fußballschuhe, Pappkameraden. In der Fliegerei Simulatoren. Damit man es leichter hat. Bei den Piloten trennt sich die Spreu vom Weizen zwischen Sichtflug und dem Flug nach Instrumenten. Das Wissen kann man sich recht einfach aneignen, wie man mit nur einem Triebwerk (von zwei – nicht von vier, da wären dann zwei besser) bei Nebel die Nase in Richtung Landebahn streckt… bis man das zum ersten Mal im Simulator erlebt. Das fühlt sich ganz anders an. Und dann wird geübt. Hoffentlich auf Basis von Talent. Sonst wird es teuer. 

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Denn im Training geht es auch darum herauszufinden, ob man ein Talent hat oder nicht. Es geht nicht um das Wissen, wie man nach Instrumenten landet oder einen Sale macht. Sondern darum herauszufinden, welche Leute von ihrem Gefühlsapparat her dazu überhaupt geeignet sind. Wenn man Training von Schulung nicht unterscheidet, kann man dieses Problem nicht einmal sehen. Geschweige denn eine Lösung finden. Im Zweifel muss dann eben mehr geschult werden oder das Incentive anders gelegt werden. Und die Kollegen der HR Abteilung – wer könnte weiter vom Verkauf entfernt sein? – sollen das alles auch noch anbieten können. Eine teure Havarie. 

Aber das kann Ihnen als Leser oder Abonnent des Newsletters jetzt natürlich nicht mehr passieren. Wieder was gespart!

Hier können Sie das nachhören oder darunter im Original nachlesen. 

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Schulung und Training bedeutet heute das Gleiche. Es ist aber ein extremer Unterschied: Schulung vermittelt Wissen, Training vermittelt Können. Und Training, da kann ich mich nicht in einen Raum setzen, in ein Seminar oder irgendwas machen, sondern da muss ich hingehen, wo das Problem ist und tun. Also zum Beispiel ich als Anfänger gehe mit einem tollen Verkäufer mit und gucke, was passiert da, was geht mich das an, kann ich das auch. Das ist Training. Training heißt immer tun, wie im Sport. Ich weiß zwar, wie man einen Salto dreht, ich kenne auch die Bewegungsabläufe und so weiter, aber deswegen kriege ich noch keinen Salto hin, ich muss es oft probieren, ich muss es oft trainieren, sodass es dann reflexartig funktioniert, auch unter Stress zum Beispiel. Das ist Training.

Im Fussball: entweder der Trainer sitzt mit seinen Spielern und die machen auf der Tafel irgendwelche Standardsituationen oder so ähnlich, oder sie gehen raus auf den Platz und kicken, und zwar immer wieder das gleiche, bis es in Fleisch und Blut übergeht, bis ich keinen Verstand mehr brauche, kein Bewusstsein mehr brauche, um irgendeinen Ablauf abzurufen. Das ist Training. Training bezieht sich aus meiner Sicht immer aufs Können.

Beim Taylorismus ist ja die Grundidee: wir machen uns robust gegenüber Talent, gegenüber Können. Wir beschränken uns aufs Wissen und diese paar Talente, die wir brauchen, die setzen wir in ein klimatisiertes Büro, die spielen keine Rolle. Heute, durch die hohe Dynamik, ist das schon längst wieder wichtig geworden, nur man kann es nicht sehen. Die Unterscheidung zwischen Schulung und Training ist schon übereinander gewachsen und man weiß gar nicht mehr, dass das ein Unterschied ist, ein wichtiger Untschied. Dass man natürlich Verkäufer schulen kann, damit sie ihre Geräte, die sie verkaufen sollen, irgendwie kennen, aber der Rest (wie benuzte ich meine Gefühle, meine Phantasie, meine Intelligenz, um eine Vertrauenssituation bei einem Interessenten zu schaffen), das ist Training.

Training offenbart ja auch: habe ich ein Talent oder nicht. Da geht´s nicht um Wissen, sondern wie finde ich diese Leute, die von Ihrem Gefühlsapparat her zum Verkaufen geeignet sind und wenn man diese Unterscheidung nicht macht, dann kann man nicht mal das Problem sehen, geschweige denn eine Lösung. Training heißt: du gehst mit mit einem Verkäufer und guckst: was lernst du, wenn du das siehst, was der macht. Der kann dir das nicht sagen, was ich machen soll. Er kann nur zeigen, was er tut und ich muss meine Schlüsse daraus ziehen. Natürlich gibt es Hilfen, wie im Sport auch, wenn ich zum ersten Mal einen Flick-Flack machen soll, dann stehen natürlich Leute drumrum, wo ich weiß, die fangen mich auf, wenn ich Mist mache, ich breche mir nicht gleich das Kreuz. Solche Hilfen gibt es schon, aber nur deswegen, weil eine Hilfestellung da rumsteht oder da eine Mappe da liegt, daraus kann ich nicht ableiten, was ich tun soll. Ich bin nur entspannter.

Meister-Schüler-Verhältnis ist ein gegenseitig freiwilliges Verhältnis. Ein Meister darf sagen: was soll ich mit dem? Und der Schüler darf sagen: den mag ich nicht. Und dann haben die kein Trainingsverhältnis. Beides, also die Ablehnung und die Zustimmung ist nicht begründbar, weil sie auf Gefühlen beruht. Ich kann dem Meister nicht vorwerfen, dass er den nicht nimmt. Nimm ihn doch mal, wir brauchen gerade einen neuen Verkäufer. Jeder, der schon mal Meister war, weiß, dass man durchs Lehren am meisten lernt. Und das, was der Meister als Gewinn bekommt, wenn er den Schüler beobachtet (wie nimmt er das auf, was versteht er und so weiter) da beginnt der Meister sich selbst zu verstehen. Denn ursprünglich ist der Meister ja nur ein Mensch, der darüber staunt, wieso er das kann und alle anderen nicht. Er versteht nichts. Aber wenn er Schüler hat, dann merkt er plötzlich: aha, das fällt den Schülern allen leicht, und das fällt dem leicht, aber dem nicht. Er kann unterscheiden, er merkt, dass das, was er beim Kunden tut, Leistung ist. Natürlich nur für jemand, wo es am Talent noch ein bisschen mangelt. Für den ist es anstrengend. Wer viel Talent hat, nicht. Dann versteht er langsam, wie das funktioniert und deswegen sind alte Meister ja viel wertvoller als junge, weil die alten Meister über sich selbst durch ihre Schüler viel mehr wissen als ein neuer, der nur Talent hat und was kann, aber noch nie beobachtet hat oder zu selten beobachtet hat, wie aus einem anderen Menschen, der ganz anders strukturiert ist, auch ein guter Verkäufer wird. Welche Niederlagen da passieren, welche Emotionen, Belastungen, manchmal fließen Tränen, ich weiß nicht, was alles, bis der endlich sein eigenes Talent entwickelt hat. Ein alter Meister hat das schon oft gesehen und hat dann deswegen meistens gute Nerven.

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Bis dann!

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