Weiß nicht.

5. April 2018 - Ralf Hildebrandt

Darf es passieren, dass man etwas nicht weiß? Schämen Sie sich, wenn es so ist? Tun ganze Teams so, als ob sie es wüssten? Obwohl jeder weiß, dass man eigentlich jemanden fragen müsste? Werte Leserinnen und Leser? 

Wenn man Hemmungen hat zu sagen, dass man etwas nicht weiß, müsste man darüber reden. Das ist nicht gut. Denn durch Hemmung wird das Beschaffen von Wissen schwerer. Wenn niemand mitbekommt, dass ich (oder jemand anderes) etwas nicht weiß, kann man auch nicht auf die Idee kommen, dieses Wissen zu beschaffen. Und sich entsprechend Mühe geben.

Den Umgang mit Wissenslücken kann man thematisieren, indem man einmal bei Menschen nachsieht, die tagtäglich damit umgehen müssen. Nein, nicht die in der Grundschule. Sondern die in der Wissenschaft. Gute Forschungsteams zeichnen sich immer dadurch aus, dass es kein Problem ist, auch einmal gar keine Ahnung zu haben. Ohne dieses „Nicht-Wissen-ist-kein-Problem“-Kulturelement wäre Forschung gar nicht möglich. Ein Forscher stolpert jeden Tag über seine Wissenslücken. Wenn eine Wissenschaftlerin etwas nicht weiß, wird nicht heimlich der kontaktarme Kollege mit dem wirren Haar gefragt. Man fragt öffentlich. So dass jeder mitbekommt, dass man eine Wissenslücke hat. Man will ja weiterkommen und benötigt Mitwisser.

Eine Führungskraft könnte ähnlich verfahren, um dieses Kulturelement zu stiften: „Mir ist letzte Woche dieser und jener Fehler unterlaufen… so bin ich damit umgegangen, das habe ich daraus gelernt, …“. Dann entsteht Möglichkeit und Anlass (= Stiften), so etwas auch einmal zu versuchen. Wenn man dagegen lediglich erklärt, Fehler wären „erlaubt“, wird das kaum von Einfluss sein.  

Es muss klar sein, dass jeder seine Wissenslücken zur Verfügung stellen kann, ohne dass daraus ein Nachteil im Ansehen entsteht.

Es muss leicht fallen, darauf hinzuweisen. Das darf keine Mühe kosten. Man gerät ohnehin immer weiter in eine intellektuell anspruchsvolle Arbeit hinein. Niemand kann die Menge an Wissen, die tagtäglich erzeugt wird, zur Kenntnis nehmen wollen. Man würde aus der Studierstube gar nicht mehr herauskommen. Das hätte keinen Sinn. Es gibt ja auch noch etwas zu arbeiten.

Erst Ignoranz erzeugt Intelligenz. Man muss nicht nur mit seinem Wissen, sondern auch mit seinem Nicht-Wissen umgehen. Das muss man üben. Denn es wird immer wichtiger. Wissen entsteht schneller, als man es sich aneignen könnte. Man muss mit Wissenslücken arbeiten. Da ist es gut, wenn man Kollegen um sich hat, die das gewöhnt sind. 

Und was, wenn man nicht weiß, dass es noch etwas Wissenswertes gibt? Was tut man bei „Meta-Unwissenheit“? Dann ist die einzige Rettung das Team. Dann hilft nur noch, dass man darin geübt ist, sich gegenseitig zu beobachten. Hat sie eine Lücke, von der sie nichts weiß? Dann muss es kulturell möglich sein, sie darauf hinzuweisen, ohne sie zu beschädigen (die Kollegin). 

Wie das gehen soll? Keine Ahnung. 

Bis übernächste Woche!

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