Wie lange gilt eine Strategie?

7. Oktober 2016 - Ralf Hildebrandt

Alles, was mit Zukunft zu tun hat, verkauft sich gut. Es scheint dabei schwierig mit der Zukunft. Aber eigentlich ist es recht einfach, werte Leser.

Es gibt einen vorhersehbaren Teil der Zukunft – nennen wir ihn den blauen Teil – und einen nicht vorhersehbaren – Sie ahnen es – das ist der rote Teil. Solange der unvorhersehbare Teil gering (10%?) ist, stört er kaum und man kommt mit Planung durch. Das lief lange so bestechend gut, dass man die eigentliche Alternative zum Plan – die Strategie (hier) – gewissermaßen mental verschluckt hat. Erfolg war planbar und eine gute Planung war Grundlage wachsenden Geschäfts.

Irgendwann war es so, dass Planung ab einer bestimmten Hierarchiestufe „Strategie“ genannt wurde, um dem Ganzen mehr Wichtigkeit zu verleihen. Geplant wird auf Abteilungsebene. Das ist schon wichtig. Aber wirklich wichtig ist der Plan von ganz oben – der konnte dann wohl kaum der „große Plan“ heißen. Also Strategie. Beide Begriffe kommen heute auch synonym verwandt vor: „Hören sie mal, Frau Kühl – das ist ein Ziel aus der strategischen Planung – da kommen wir nicht drum herum“. 

Mit ansteigender Dynamik führte selbst beste Planung nicht mehr zum gewünschten Erfolg. Aber inzwischen war Planung als Reflex auf mangelhafte Zukunftsvorhersage ins Rückenmark gewandert. So nennen wir das zumindest. Und damit erlosch die klitzekleine Flamme eines nützlichen Strategiebegriffs (ganz hinten, unten links) vollends.

Small ceremonial candle in the dark.

Damit konnte es in dieser Situation – beste Planung vorausgesetzt – ja nur daran liegen, dass das Fußvolk den Plan – jetzt „Strategie“ genannt – entweder nicht mehr verstanden hat, oder aus anderen Gründen bockig geworden ist. Das gab dann Abzug in der Beurteilung der Führungskräfte beim Punkt „Strategiekommunikation“. Mehr Bedeutung musste her – englische Begriffe etablieren sich: Masterplanning, Strategic Roadmaps, Collaborative Vision Creation usw..

Nun, da man vom Apfel der Erkenntnis gebissen hat, könnte man sich über die sich aufopfernden Planer lustig machen. Das empfiehlt sich nicht. Denn die sind nicht dumm. Sie sehen eben nur noch „Plan“. Dort, wo „Strategie“ als Begriff zu entdecken wäre, ist es ja dunkel geworden.

Sie werden auch niemanden finden, der das Skript für das Durcheinander geschrieben hat. Es hat sich mit der Zeit eingeschlichen und ist zum Stil des Hauses geworden. Man könnte sagen, das Sozialsystem des Unternehmens hat die Alternative zum Plan gar nicht mehr im kommunikativen Repertoire. Man bemerkt gar nicht mehr, was man nicht mehr auseinander halten kann. Und vor allem die eloquente Nutzung von Anglizismen (das hat man schließlich drauf!) ermöglicht stundenlange Meetings ohne dass etwas geschieht. Außer, dass man Ende des Tages sehr müde ist. Und das fühlt sich dann auch noch wie echte Arbeit an. 

Heute streitet niemand mehr ab, dass man einen größeren Teil der Zukunft nicht mehr vorhersagen kann. Der Wind hat sich inzwischen gedreht. Das macht auf dem Weg zu moderner Strategieentwicklung in der Praxis auch keine großen Schwierigkeiten. Das Problem sind die alten Planungsreflexe. Vor denen müssen Sie sich in Acht nehmen. Denn die funktionieren bestens!

Wenn Sie sich also an echte Strategieentwicklung (ein durch Prinzipien begrenzter Handlungsraum*) heranmachen sollten, dazu u.a. den Denkzettel (noch einmal hier) mit Ihren Kollegen diskutieren und Erleuchtung naht, werden Sie sich oder einen Ihrer Mitstreiter bei nächster Zeit trotzdem dabei ertappen, einem Planungsreflex anheimzufallen. Etwa, wenn Sie Ihre Strategie „umsetzen“ wollen oder wenn Sie sich fragen, wie lange Ihre Strategie wohl gelten soll.

Strategie ist immer ein Überlegen zwischen Ist und Soll. Wenn einmal eine Strategie da ist, verschwindet sie nicht wieder. Sie wird höchstens angepasst. Strategie kann man auch als eine Struktur verstehen. Da werden alle Probleme eingefüllt, die nicht planerisch gelöst werden können.

Probleme und deren Lösungen kommen und gehen. Ist und Soll sind also ständig in Bewegung und verlangen immer wieder Aufmerksamkeit. Dazu braucht man nicht nur einmal im Jahr die Aufmerksamkeit einiger Top-Manager. Man benötigt einen Handlungsraum, der es vielen ermöglicht, eigene Ideen auf dem Weg zur Lösung auszuprobieren. Und damit sich der kundige Mitarbeiter bei der Suche nach einer Lösung keine Sorgen machen muss, ob seine Idee dem Unternehmen schaden könnte, ist der Handlungsraum durch Prinzipien begrenzt. 

Viele können sich so ungesteuert – d.h. selbstorganisiert – an der Problemlösung beteiligen. Deshalb ist Strategieentwicklung kein Alleingang mehr. Daran kann man sich gerne gewöhnen.  

Bis nächste Woche!

*Schreiben Sie uns eine Mail (ralf.hildebrandt@dynamikrobust.com), wenn Sie das genauer wissen wollen. Wir machen für Geld fast alles. 

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Bildnachweis: istockphoto Tapsiful, 80494805

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