Wir ändern jetzt ´mal unser Führungsverhalten!

5. Mai 2015 - Ralf Hildebrandt

Es kommt dann und wann vor. Jeder Manager kennt das. Irgendwo kommt er her, der Ruf nach einem neuen Führungsverhalten. Vielleicht gibt es auch ein Seminar dazu!

Wenn die Chefin eines Mittelständlers morgens die Post verteilt, geht es nicht um die Post. Sondern um die Gelegenheit, mit ihren Leuten ins Gespräch zu kommen. Das hat der Chefin keiner ins Führungshandbuch geschrieben. Sie hat auch gar keins. Es ist ihr ein Bedürfnis. Sie benutzt die Post als Anlass, ihrem (Gesprächs)-Bedürfnis nachzugehen und mitzubekommen, was so los ist.

Angenommen, man würde anderswo nun ihrem Beispiel folgen wollen und es gäbe eine Anweisung an die Chefs, die Post zu verteilen…

Hoffentlich ist das nicht gerade bei Ihnen so. Jeder würde den Unterschied zwischen Bedürfnis und Anlass sofort wahrnehmen. Entschließt sich der Vorstand, dass sich das Führungsverhalten ändern soll, dann entschließt er sich also ein Theaterstück aufzuführen. Wenn Richard der III. auf die Bühne tritt und mit Dolch bewaffnet seines Amtes waltet, weiß das Publikum es sitzt im Theater. Jeder weiß, dass das da vorne nicht Richard ist. Und es wird auch niemand getötet.

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Wenn es allerdings gut gemachtes Theater ist (gilt auch fürs Kino), erliegt das Publikum gerne der Illusion, dass das Theater die Welt ist. Das ist dann ein Genuss. Es ist vielleicht eine großartige Errungenschaft des menschlichen Bewusstseins, mal das eine oder das andere als „die Welt“ zu nehmen. Und trotzdem bleibt klar, dass es einen Unterschied zwischen Theater und der wirklichen Welt gibt.

Beim Vorstandsbeschluss zur Veränderung des Führungsverhaltens geht dieser Unterschied verloren. Die Fähigkeit der Menschen, Theater als Illusion der Welt zu nehmen, wird dann im Unternehmen missbraucht. Es funktioniert auch hier, aber es erfüllt keinen positiven Zweck. Im Gegenteil. 

Anlass zu diesem Blog Post war auch hier ein Kundengespräch. Eine Initiative, die Führungskultur per Verordnung zu verändern, wird es nun nicht geben. Wieder ebbes gspart („wieder etwas gespart“ – wie der Schwabe sagt). 

Hier können Sie das in gut 4 Minuten nachhören und gleich danach im Transkript nachlesen. 

Das Transkript zum Zündfunken:

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Nehmen wir mal an – als Szenario: ein Unternehmen entschließt, sich, aus welchem Grund auch immer, vielleicht auf Rat eines Beraters: wir ändern jetzt unser Führungsverhalten. Was passiert da? Wie ändert man denn sein eigenes Führungsverhalten? Das einzige, was Menschen ändern können, ist ihr Verhalten. Das heißt, man geht davon aus: wir verhalten uns jetzt anders.

Ich lese gerade ein Buch, da gestaltet einer sein Führungsverhalten dadurch, dass er morgens die Post verteilt. Nun ist es aber ein großer Unterschied: ich kenne viele Unternehmen, wo der Chef morgens die Post verteilt. Einfach deswegen, um jeden Morgen Anlass zu haben, in ein Büro zu gehen, Schwätzchen zu halten, zu gucken, was ist hier los und dann irgendwie in zwei Stunden ist er fertig mit Post austeilen. Das heißt, der verfolgt ein Bedürfnis. Der benutzt die Post quasi als Anlass, einem Bedürfnis nachzugehen, mit seinen Leuten zu quatschen.
Jetzt hat der Vorstand beschlossen: wir ändern unser Führungsverhalten. Das heißt, ab einer gewissen Hierarchieebene verteilen die die Post. Nun geht auch ein Manager herum und verteilt die Post. Nur hat der überhaupt kein Bedürfnis, Post zu verteilen – außer: der Chef hat es gesagt, also mache ich es.
Wir sehen von außen den gleichen Vorgang, nämlich einen Manager, der Post verteilt. Was aber tatsächlich passiert, ist was sehr verschiedenes. Wenn der Vorstand sich entschließt, Führungsverhalten zu verändern, dann entschließt er sich, ein Theaterstück aufzuführen. Jeder bekommt eine Rolle, lernt seine Rolle und spielt sie dann. Die Frage ist dann: hat sich irgendetwas verändert, außer das jetzt über eine gewisse Zeit – meistens verliert man ja irgendwann wieder die Lust – ein Theaterstück aufgeführt wird?
Die meisten Menschen wissen, dass, wenn man ins Theater geht und Richard III taucht auf mit einem Dolch und tut seines Amtes, dann weiss jeder, das ist weder König Richard III, noch wird dort ein Mensch getötet. Also die Unterscheidung zwischen Theater und wirklicher Welt geht bei diesem Beschluss des Vorstands (wir verändern unser Führungsverhalten) verloren.
Man tut so, als wäre das Theater die Welt. Das machen eigentlich nur Kinder. Ich glaube, es ist so, dass diese Fähigkeit menschlichen Bewusstseins je nach Notwendigkeit entweder das Theater, die gespielte Welt, oder die tatsächliche Welt, zu nehmen, um weiter zu denken und weiter zu machen, dass das eigentlich wahrscheinlich eine große positive Eigenschaft menschlichen Bewusstseins ist, genau das zu können. Deswegen ist ja Theater überhaupt möglich, oder Film oder Musik, weil Menschen in dieser kurzen Zeit des Theatergeschehens tatsächlich daran teilnehmen, als wäre es die Welt. Menschen können das und weil sie das können, kann man ja überhaupt Theater und Kunst aufführen. Der Schauspieler oder der Autor ist ja jemand, der dazu genau das Talent hat, es so zu spielen als Schauspieler, dass der andere es genießen kann, Richard den III. zu sehen und nicht den Schauspieler Sowieso. Obwohl ich ihn jederzeit unterbrechen kann, den Zuschauer, und um Auskunft bitten kann und er wird mir immer sagen: das ist der Schauspieler und ich bin im Theater und so weiter, aber trotzdem genießt er die Illusion.
Die Illusion, Theater für die Welt zu nehmen, ist offensichtlich, vielleicht nicht immer, aber richtig gemacht, ein Genuss. Und diese Fähigkeit von Menschen, die wird in Unternehmen missbraucht. Die funktioniert da natürlich auch, aber sie erfüllt keinen positiven Zweck.
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Viel Vergnügen dabei und bis nächste Woche.

Danke für die vielen neuen Abonnenten – so kann´s weitergehen. Hier wird nicht gespart. 

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Bildnachweis: iStock/23362315-Whiteway

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