Change Management – warum funktioniert das eigentlich nicht?
27. Mai 2015 - Ralf Hildebrandt
Schon 1996 hat Kotter an der Harvard Business School festgestellt, dass bald 3/4 aller Initiativen einen jämmerlichen Track Record haben. Und seitdem hat sich kaum etwas geändert. Das kann man zum Beispiel hier bei McKinsey nachlesen.
Was genau funktioniert an Change Management eigentlich nicht? Und warum wird das bald 20 Jahre nach der Blütezeit dieses Angebotes noch immer – wenn auch unter anderem Namen – gemacht?
In einer Denkwerkstatt haben wir kürzlich relevante Fragen dazu beantwortet. Das Thema des 4-stündigen Workshops war „Veränderung in Unternehmen“.
Machen wir es hier einmal wie bei Jeopardy!. Die Spielshow lief in Deutschland unter dem Titel „Riskant!“. Und präsentieren Ihnen nur die Antworten. Die dazugehörigen Fragen der Workshop-Teilnehmer können Sie sich selbst ausdenken.
1. Der Grund, warum sich der Irrtum des Change Managements nicht abnutzt liegt u.a. in der Selbstüberforderung des Managements; auch Pflichtanmaßung genannt. Wer sonst sollte das Unternehmen in die Zukunft steuern?
Und zum anderen daran, dass das notwendige Wissen nicht mehr an einer Stelle (im Zentrum – s. hier) zu verdichten ist. Früher hat das noch funktioniert. Die Alternative ist unbekannt.
2. Die hohe Dynamik hat dafür gesorgt, dass das Wissen an die Peripherie gesaugt wurde. Dort musste unter hohem Druck schnell entschieden werden. Das hat niemand „gemacht“. Alltagswissen stand so zentral nicht mehr zur Verfügung.
3. Man hat sich daran gewöhnt, dass „die vom Zentrum“ vom Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Und die „Chaoten“ in der Peripherie einfach undiszipliniert sind. Nach der gegenseitige Anklage hört man mit dem Denken auf. Tragisch ist, dass das eigentliche Problem dabei unentdeckt bleibt.
4. Da durch Change Management (bei Dynamik!) nichts gelöst wird, bleibt auch alles beim Alten – das ist richtig. Und bald kann man wieder von vorn anfangen. Ein sich nicht abnutzender Irrtum. Und ein einträgliches Geschäft für die Anbieter.
5. Change ist heute kein zentral denk- und planbarer Vorgang mehr. Sondern experimentell. Die Vielfalt der Probleme der Peripherie lässt sich intellektuell nicht mehr in den Horizont eines (oder mehrerer) Manager bringen. Bis man mit dem Denken fertig ist, hat sich die Welt schon wieder entwickelt. Die Peripherie kann man nur noch experimentell einbeziehen.
6. Schnell Ausprobieren und Verwerfen statt allzu gründlicher, vorgedachter Planung mit anschließendem „Ausrollen“.
7. Prinzipiell ist jede organisationale Innovation – also Change – ein Angriff auf die bestehende Struktur.
8. Nein, das Zentrum ist nicht unwichtig. Im Gegenteil. Dort wäre der einzige Ort, wo man die Übersicht hat und entscheiden könnte, welche Initiativen aus der Peripherie zueinander passen. Aber man ist zu sehr damit beschäftigt, das Ausrollen zu kontrollieren und auf Disziplin zu achten.
9. Nein, das Problem ist nicht, dass sich Management und Peripherie nicht verstehen. Sie brauchen sich einander und müssten sich ergänzen. Zur Kopplung der Aktivitäten ist aber nur die Steuerung (top down) bekannt. Führung – so wie wir sie verstehen – ist als Kopplung unbekannt.
10. Es ist soviel Veränderung nötig, wie man zur Anpassung des eigenen Systems an die Umgebung benötigt. So komplex wie eben nötig. Ohne Dynamik funktioniert Change Management bestens. Nur kommt das heute eigentlich nicht mehr vor.
Sie können es sich auch einfach machen und den Zündfunken anhören:
Oder das Ganze hier als Transkript nachlesen:
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Früher war das Wissen um das Unternehmen und die Produktionsprozesse zentral verdichtet. Da hatte man alles, was man braucht. Der Ford musste nicht in seine Halle gehen und die Fließbandarbeiter fragen, wie man eine Tin Lizzie baut. Das wussten die auch gar nicht. Alles Wissen, was man brauchte, um die Tin Lizzie zu bauen, war zentralisiert, um Henry Ford drumrum. Mehr Wissen gab es im Unternehmen nicht. Es gab natürlich – der Arbeiter am Fließband hat auch irgendein Wissen, aber über seine Kinder, über seine Frau und über seinen Urlaub hat er Wissen, aber nicht über den Produktionsprozess.
Bei hoher Dynamik ist es ja so, dass ein Teil des Wissens des Unternehmens und zwar immer das Alltagswissen, das praktische Wissen, das, was man tagtäglich braucht, wird vom Zentrum an die Peripherie gesaugt und dadurch hat das Zentrum nicht mehr alles Wissen zur Verfügung, was man zur Organisation oder zur Anpassung des Unternehmens an seine Umgebung braucht. Es fehlt was.
Früher konnte man Change Management vollständig abwickeln vom Zentrum aus. Und das hat man auch gemacht. Die ganze tayloristische Organisation ist ja sowas. Da wird im Zentrum was ausgedacht, also welche Prozesse brauche ich, um eine Tin Lizzie zu bauen, dann wird das wissenschaftlich durchdacht, dann wird es irgendwo aufgeschrieben, und dann werden Leute gesucht, die genau das machen. Mehr braucht man nicht, mehr Wissen gibt es nicht. Und diese Problematik von heute entsteht erst durch die hohe Dynamik, die das Wissen an die Peripherie saugt, weil man an der Peripherie heute Entscheidungen braucht und entscheiden kann ja nur jemand, der weiß, um was es geht.
Die Ambition des zentralen Managements, wir müssen unseren Laden, unsere Firma so organisieren, dass sie besser funktioniert als gestern, ist das, was ich Pflichtanmaßung nenne. Das ist eine Selbtsüberschätzung oder Selbstüberforderung des Managements heute – früher nicht- heute. Wenn ein Teil des Wissens, was ich brauche, um eine Firma marktgemäß zu organisieren, eben in der Peripherie steckt und ich kann dieses Wissen in der Peripherie nicht dadurch nutzbar machen, dass ich hingehe und frage. Die Antworten, die ich da bekomme, würden nicht ausreichen, um Arbeitsabläufe zu organisieren. Das Wissen an der Peripherie ist zwar notwendig, aber es ist sehr beschränkt. Es sieht nicht die Firma als Ganzes, es sieht nur einen Prozess, sonst nichts. Also kann das Wissen in der Peripherie sich selbst in seiner Wichtigkeit gar nicht beurteilen. Deswegen: wenn ich hingehe und frage, kriege ich normalerweise Anklagen: warum habt ihr das so schwachsinnig gemacht? Immer macht ihr den gleichen Fehler und wenn ich diese Leute schon sehe, die im Zentrum Prozesse gestalten, die haben doch von Tuten und Blasen keine Ahnung. Das wären die Antworten, die man von der Peripherie bekommt. Deswegen ist moderne Organisationsentwicklung immer ein Vorschlag an die Peripherie. Es könnte sein so und so geht es besser. Probiert es aus und berichtet darüber, was dabei rausgekommen ist.
Das ist der Grund, warum heute change, also Veränderung von Firmen, ein experimenteller Vorgang ist und ich kann die Peripherie nur experimentell einbeziehen, nicht intellektuell. Das sind Leute, die Wissen und Erfahrung haben, wie man etwas macht und die sofort feststellen können, so geht´s nicht und das müssen sie berichten: so geht´s nicht. Dann muss das Zentrum sich was Neues ausdenken, bis irgendwas passiert, was funktioniert. Das heißt, das Zentrum ist nicht unwichtig. Das ist die einzige Stelle, wo man die Firma als Ganzes in den Blick nehmen kann. Deswegen ist das Zentrum immer wichtig, wenn Vorschläge aus der Peripherie kommen, genau diese Beurteilung auch wieder an die Peripherie zurückzuspiegeln: für dich ist das richtig, aber dort, an der anderen Stelle, macht es Probleme oder würde es Probleme machen. Also, denk da mal drüber nach.
Change management oder besser gesagt, die Organisationsentwicklung eines Unternehmens ist auf die Zusammenarbeit zwischen Zentrum und Peripherie angewiesen, weil die können sich gegenseitig nicht ersetzen. Sie haben völlig verschiedenes Wissen und diese Verschiedenheit muss zusammenfließen, damit etwas Durchführbares, etwas Praktizierbares herauskommt. Man hält es für ein Problem, und das ist ja auch Klage des Managements: die verstehen uns nicht da draußen. Genauso gut umgekehrt, die Praktiker in der Peripherie sagen: das Management hört nicht zu und die verstehen nicht, was da bei uns tagtäglich passiert. Und dann kommen wichtige, meistens Psychologen, die dann meinen, die Lösung des Problems besteht darin, dass man die beiden Seiten dazu bringt, dass sie sich verstehen, also wenn der eine was sagt, dass der andere versteht, was der meint. Das halte ich für aussichtslos, weil selbst wenn es gelingen sollte, würde es sehr lange dauern und würde nicht lang halten. Weil die Peripherie ist ja in diesem dynamischen Umfeld. Das heißt, die Bedeutungen der Worte, die Bedeutungen der Sätze, die Bedeutungen der Haltungen, der Meinungen, ändern sich sehr schnell. Das heißt, selbt wenn das Zentrum es eines Tages verstanden hätte, am nächsten Tag gäbe es schon wieder die gleichen Missverständnisse. Das ist aber deswegen kein Problem, weil die sich intellektuell ja gar nicht verstehen müssen. Die Kommunikation läuft ja so: die innovative Idee wird im Zentrum produziert und in der Peripherie ausprobiert. Es muss nur klar sein, dass die Peripherie, wenn es ums Ausprobieren, ums Experimentieren geht, die Hohheit hat. Das heißt, wenn die Peripherie sagt, das geht nicht, dann geht es nicht. Sie gibt ja nur digitale Messwerte zurück, das Zentrum macht eine Idee, bringt es an die Peripherie, die Peripherie sagt: tolle Idee, funktioniert hervorragend, mehr davon oder sie sagt: das kriegt ihr zurück, das geht nicht. Da ist ja kein Problem des Warum, sondern es ist nur eine Mitteilung: so geht es nicht. Natürlich wenn es sich um kleine prozessuale Probleme handelt, könnte die Peripherie auch noch sagen: so geht es nicht, aber vielleicht so. Aber das würde das Zentrum schon wiederum nicht mehr interessieren. Denn das wäre eine so gewaltige Vielfalt von Vorschlägen aus der Peripherie, das könnte das Zentrum gar nicht mehr verarbeiten.
Wenn man die Frage stellt, wie viel dieser Anpassungsanstrengung ist denn nötig oder anders ausgedrückt: wie viel change braucht ein Unternehmen, dann liegt die Frage immer außerhalb des Unternehmens. Die Umgebung eines Unternehmens ändert sich und das ist der einzige Grund für die Veränderung des Unternehmens. Wenn sich außen, in der Umgebung des Unternehmens nichts ändert, hat das Unternehmen keinen Grund, sich zu ändern, außer, ihm ist langweilig, außer man benutzt das Unternehmen als Spielzeug, wo man mal ein bißchen was rumbasteln will oder irgendwelchen Moden folgen will, das mag alles sein, aber es ist für ein seriöses Unternehmen eigentlich nicht nützlich.
Wenn sich aber in der Umgebung etwas ändert, egal was und in welcher Geschwindigkeit, dann muss in der gleichen Qualität und in der gleichen Geschwindigkeit im Unternehmen eine Anpassung erfolgen bzw. die Anpassung des Unternehmens an seine Umgebung muss aufrecht erhalten werden, die natürlich durch eine Veränderung in der Umgebung immer gefährdet ist. Das heißt: was in einem Unternehmen an Veränderungsvorgängen passieren muss, ist eine Frage an den Markt und nicht ans Management oder gar an den Berater. Ich weiß dann, dass ich mit der Anpassung an die Umgebung richtig unterwegs bin, wenn mein Konkurrent Angst bekommt. Das Qualitätsurteil für das Unternehmen kommt immer von außen. Das kann ich mir selbst nicht aussuchen. Ich kann nicht sagen: jetzt gefällts mir, jetzt ist es wirklich schön. Das ist das, was wir Romantik nennen. Natürlich kann man ein Unternehmen schön organisieren, dass jeder sich wohlfühlt, dass es Sitzplätze in der Sonne gibt und Tennisplätze und sonst irgendwas und Events, wo man sich amüsieren kann, mag ja alles sein, ein tolles Unternehmen, aber wenn der Konkurrent keinen Respekt haben muss vor mir, dann nützt mir das alles nichts.
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Bis nächste Woche!
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