Flut und Schuld

28. November 2018 - Ralf Hildebrandt

Werte Leserinnen und Leser, 

gehören Sie zu unseren Lesern, die sich an 67 und mehr Mails pro Tag längst gewöhnt haben? Vor einigen Jahren (auch heute noch?) war ein übervolles Postfach ein Anlass, von „Informationsflut“ zu sprechen. Flut herrscht, wenn mehr Mails eingehen, als der Empfänger verarbeiten kann. Im Allgemeinen wird das als lästig empfunden, weil man nicht mehr zum Arbeiten kommt. Deshalb führt manch besorgter Arbeitgeber Regeln gegen die „Flut“ ein und schaltet die Server von freitags 1730 bis montags 0645 Uhr ab. Ob das wohl die Flut eindämmt?

Informationsflut ist ein Denkfehler. Eine Mail ist eine Mitteilung und längst keine Information. Landet sie ungelesen (und versehentlich) im Spam, enthält sie sicher noch ihren Inhalt. Aber „informiert“ wird sich niemand darüber fühlen können. Eine Mail ist eine Mitteilung und keine Information. Eine Information ist ein Ereignis in einem Bewusstsein. Wenn man etwas erfährt, was man wissen wollte, handelt es sich um Information. Wenn jemand meint, man müsse etwas erfahren, was man aber selbst gar nicht wissen wollte, landet es im (mentalen) Spam. Information gleich Null.  

Vielleicht gibt es Gründe dafür, am Wochenende die Briefkästen zuzukleben. Aber ob man deshalb während der Woche weniger Post erhält? Die Leute sind ja nicht dumm. Gibt es im Ernst jemanden, dem man erklären muss, dass man 67 und mehr Mails am Tag nicht bearbeiten kann (außer in der Poststelle)? Vielleicht gibt es das. Dann müsste sich die Flut mit ein paar fürsorglichen Hinweisen (am besten nicht per Mail) auf diesen Irrtum bald erledigt haben. 

Und wenn es nun trotz aller Bemühungen nicht weniger Mails werden? Und die Wirkung der Wochenendregelung nur von kurzer Dauer war? Dann sind die vielen Mails wohl nur ein Symptom. Aber für was? Das muss man herausbekommen. Dominiert plötzlich Angst? „Angst? Nee – das nicht.“ Und Sorgen? Wie steht es damit? Gibt es Sorgen ums Gehalt oder den Arbeitsplatz? „Hm – möglich. Wir hatten letztens….“ Dann nimmt die Anzahl der Mails vielleicht deshalb zu. Sich über Mails „absichern“ zu wollen, ist ein Symptom. Mit Symptomen lässt sich nichts erklären. Und deshalb ändern Regeln, die die Flut eindämmen sollen, auch nichts. Ein Unternehmen ist nicht die Vorschule. 

„Ich habe es ihnen doch geschrieben“ ist eine Schuldzuweisung. Schuldzuweisung entlastet (ihr Pech, wenn sie es nicht lesen). Wenn etwas schiefgeht, muss ich dafür sorgen, dass zumindest nicht alles an mir hängen bleibt. Das ist ein Reflex. Es macht keinen Sinn, die Reflexe freitags bis montags abzustellen. Man muss den Grund dafür abstellen. Dann verschwindet der Reflex von alleine.

Bis übernächste Woche!

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