Kommunikationskompetenz – lernen, zu lügen
16. Juli 2015 - Ralf Hildebrandt
„Wie viele Leute hat denn dein Mann?“
Vor ungefähr 10 Jahren zum Höhepunkt des gnadenlosen Outsourcings (es gibt auch durchaus einige sinnvolle Vorhaben) hat ein Key Account Manager eines großen Systemhauses abends an der Bar erzählt, worauf es bei einem Outsourcing – Deal wirklich ankommt. Auf die Ehefrauen der Manager. Hä? Ja. Wenn die sich auf dem Golfplatz erzählen, wie viele Mitarbeiter der jeweilige Gatte „unter sich“ hat, ist das Balsam für die eigene innere Unsicherheit. Und wenn man die nun outsourced… wer ist man dann noch? (natürlich funktioniert das Beispiel auch andersherum mit mächtigen Managerinnen und Männchen auf dem Golfplatz).
Damals war Macht noch salonfähig. Viele Leute zu „haben“ und das auch jeden wissen zu lassen, war ein Statussymbol. Dass sich in unserer Industriegesellschaft langsam etwas ändert, kann man auch daran erkennen, dass es inzwischen peinlich ist, Macht zu haben. Man würde sich nicht mehr damit brüsten, dass 2500 Leute stramm stehen, wenn man durch das Werk schreitet.
Industrielle Strukturen benötigen aber Macht, damit sie stabilisiert werden. Sonst kommt hinten kein Auto mehr ´raus. Wenn jeder macht, was er will.
Es kommt heute darauf an, die Macht, die man real hat, zu verstecken. Also in ihrer Wirksamkeit nicht abzuschwächen. Aber in ihrer Sichtbarkeit. Es gibt Hunderte Anbieter, die Manager in Kommunikationskompetenz trainieren. Damit die Führungskraft mit der richtigen Kommunikation zu den Mitarbeitern durchdringt und sie zu Spitzenleistungen motiviert. Die faulen Hunde.
Was Kommunikationskompetenz tatsächlich ist, lässt sich wunderbar an einem Beispiel erklären. Und auch im Kopf behalten, wenn man zum nächsten Seminar geschickt wird. Oder gar eines kaufen möchte.
Die schlimmsten Diktatoren dieser Welt machen fast alle immer wieder dieselbe Übung und lassen sich dabei filmen: sie heben Kinder hoch mit einem Sträußchen in der Hand und küssen sie auf die Wange. Dann sieht man nicht einen Machtmenschen, der über Leben und Tod entscheiden kann, sondern den freundlichen Opa oder Familienvater. Das ist kommunikative Kompetenz.
Man kann durch ganz bestimmte Verhaltensweisen die Realität so verschleiern, dass kaum jemand noch eine Chance hat, dahinter zu kommen. Man kann das berühmte Kindchen-Schema auch mit Katzen oder Hunden bedienen. Irgendetwas, wo man sich darauf verlassen kann, dass es Emotionalität erzeugt. Eine Katze, wenn sie entsprechend aussieht, ist eben süß. Da kann sich kaum jemand dagegen wehren. Wenn der Diktator die Katze hoch nimmt und streichelt, dann ist das einer so wie ich: der mag auch Katzen.
Kommunikative Kompetenz ist nur dann ein Problem, wenn man aufs Lügen angewiesen ist. Wenn man Menschen etwas zu sagen hat, was zu ihrer Emanzipation beiträgt, kann man schließlich jederzeit mit Hilfe rechnen. Wenn ich etwas so sage, dass der andere es nicht versteht, dann fragt der nach: „ich hab es nicht verstanden. Kannst du das nochmal anders sagen?“ Das heißt, die kommunikative Kompetenz brauche ich dann nicht, weil ich von Helfern umgeben bin.
Nur wenn ich sie belügen muss, wenn ich ihnen einreden muss, dass meine Interessen wichtiger sind als die ihren und dass sie meine Interessen bei ihrem Handeln benutzen sollen, dann brauche ich das, was man kommunikative Kompetenz nennt. Man könnte auch einfach sagen: ich muss lernen, zu lügen.
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Bis nächste Woche!
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