Politik brauchen wir hier nicht
28. Oktober 2016 - Ralf Hildebrandt
Heute werfen wir Sie einmal mitten in ein Gespräch, liebe Leser. Nun ja – eigentlich erhaschen wir im Vorübergehen nur einen Fetzen daraus:
„… ja, ja… politisch? Ach, Frau Zimmerle – wieso Politik? Nein, nein. Lassen sie uns offen miteinander umgehen. Authentizität ist mir sehr wichtig…“
Was Frau Zimmerle da mitgeteilt bekommt, heißt übersetzt: Politik ist „nicht-offen-miteinander-sein“. Und das machen eigentlich nur Windbeutel. Die sind den ganzen Tag damit beschäftigt, sich gegenseitig hinters Licht zu führen. Das machen wir hier nicht, Frau Zimmerle. Wir brauchen keine Politik. Wir sind offen zueinander.
Sie erinnern sich nun vielleicht an einen Beitrag an gleicher Stelle. Vor ein paar Wochen ging es um die Erkenntnis, dass man gar nicht offen miteinander reden kann. Und dass das zwar eine gängige, aber nutzlose Forderung ist.
Mit dieser Einsicht schiebt sich der konstruktive Aspekt von Politik ins Bild. Ganz anders als das, was man gemeinhin damit verbindet. Vor allem kurz vor den US-Wahlen 2016. Da kann man doch „Politiker“ live erleben. Was soll an Politik um alles in der Welt für unser Leben, unsere Arbeit nützlich sein?
Sie machen jeden Tag Politik, liebe Leser. Sie betreiben Politik, wenn Sie jemand anderem eine Brücke bauen, von der er nicht wusste, dass er sie gebrauchen könnte. Wenn Ihnen das gelingt, machen Sie Politik. Und zwar konstruktive.
Beginnen wir also damit, dass man keineswegs sagen kann, was gerade gesagt werden müsste – selbst bei größter Offenheit (da fallen Ihnen sicher jede Menge Gelegenheiten ein, wenn Sie es heute schon mit Menschen zu tun hatten). Dann sind Sie sich auch bewusst darüber, dass jeder in seiner Werteumgebung, in seiner Kulturumgebung, gefangen ist. Dass auch Ihr Kollege gegenüber davon geführt und geleitet wird. Und bevor bei Ihnen jetzt Mitleid für den armen Tropf aufkommt… das gilt natürlich auch für Sie. Man ist durch „sein“ Sozialsystem quasi beschränkt.
Politik bedeutet dann nichts anderes, als mit diesen Beschränkungen umzugehen. Sie können sie nicht beseitigen. Das geht nicht. Aber bezogen auf ein Problem zumindest so weit abmildern, dass die Gesprächspartner ihre Interessen verhandeln können und nicht irgendwelche Bedürfnisse (oder Scheininteressen).
Nehmen wir zum Beispiel an, Ihre junge, erfolgsverwöhnte Chefin hat das unbedingte Bedürfnis nach „Transparenz“. Sie ist ja auch noch ganz neu in ihrem Job. Sie ruft das im Meeting so aus; sie ist „der Überzeugung“, dass nur Transparenz in dieser Situation weiterhilft. Sie fordert einen Plan von Ihnen. Sie haben aber keinen – es ist noch viel zu früh dafür. Sie können ihre Anspannung erkennen und auch, dass sie sich sehr um einen gegenteiligen Eindruck bemüht. Ihnen fällt auf, dass es hier um ein Gefühl – ein Bedürfnis – geht. Es würde ihr einfach besser gehen, wenn es ein Stück Papier mit Zahlen gäbe.
Objektiv gesehen, muss ihr Interesse darin liegen nach oben einen aufgeräumten Eindruck der Abteilung zu vermitteln. Sonst war sie die längste Zeit Managerin. Dann könnten Sie wieder nicht in Ruhe Ihrer Arbeit nachgehen – denn der oder die Nächste wird wohl wieder Ähnliches fordern. Konkret für Sie lösen kann sie ohnehin auch nichts. Auch wenn sie selbst glaubt, dies tun zu müssen.
Was machen Sie also? Sie geben Ihr einfach einen Plan. Und arbeiten unter konstruktiver Ignoranz desselben einfach sinnvoll weiter. Die Brücke, die sie da gebaut haben trägt damit den Namen „Das-willst-du-gar-nicht-wissen-wollen-Brücke„. Ein Standardbauwerk der Politik – eine Doppelstrategie. Die kennen Sie, nicht wahr?
Politik ist in diesem Sinne eine konstruktive Destruktion einer eigentlich verzwickten Situation. Damit Kommunikation wieder so abläuft, dass Innovation möglich wird. Bzw. bleibt. Und wenn Sie Ihre junge Kollegin ein paar Mal konstruktiv an der Nase herumführt haben, wird Sie es Ihnen irgendwann schmunzelnd danken. Sie machen das gut!
Bis nächste Woche!
Vielleicht haben Sie es bemerkt. Nun haben wir Ihnen auch eine Brücke gebaut. Damit Sie weiterhin zum Nutzen Ihrer selbst und Ihrer Kollegen konstruktive Politik machen. Und der Begriff für Sie damit auch eine positive Bedeutung erlangen kann. Denn Politik zu machen, ist den meisten unter uns wohl kein Bedürfnis. Aber es liegt in unserem Interesse. Die Strukturen sind das Problem. Nicht die Menschen.
Der Inhalt des Posts ist lizenziert CC-BY-NC-ND. Er kann gerne jederzeit unter Namensnennung und Link zu nicht-kommerziellen Zwecken genutzt werden.
Bildnachweis: istockphoto 93148259.
Neue Blogposts gibt es 2-wöchentlich. Wenn Sie möchten, bestellen Sie die Beiträge hier kostenlos:
Newsletter
Alle Blogposts bequem per E-Mail: