Warum arbeiten Sie? Interesse & Bedürfnis, Teil 3
8. Juli 2015 - Ralf Hildebrandt
In den vorangegangen Episoden unseres kurzen Dreiteilers kam man u.a. zur Erkenntnis, dass eine klassische Organisation darauf angewiesen ist, dass Menschen ihre Interessen nicht kennen. Man muss ihnen eine Geschichte erzählen, um den unauflösbaren Gegensatz zwischen dem (notwendigen) Kapital und dem Wunsch nach eigener Entwicklung so gut es geht im Griff zu behalten. Meist ist das Gehalt dann ein Schmerzensgeld.
Wenn man Interessen verändern will, muss man Strukturen ändern. Viel ist da noch nicht passiert. Das Alte ist zäh. Gallup´s Studie stellt das Jahr für Jahr fest: es wollen einfach nicht mehr als 15% der Kollegen engagiert zu Werke gehen (Sie und ich gehören nicht dazu – sind immer die anderen).
Strukturen ändern bedeutet nicht an Motivierung herumzuschrauben. Ein Beispiel.
Warum geht man (im Allgemeinen) arbeiten?
Alte Denke:
Das objektive Interesse der meisten Menschen ist, dass die Arbeit eine Existenzgrundlage bietet. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Bedürfnis hingegen ist, das mit möglichst wenig Aufwand zu tun – alles faule Hunde. Wie aus der Studie ersichtlich, sind das meistens 85%, die zwar das positive Interesse in sich tragen. Aber wohl kaum ein positives Gefühl (= Bedürfnis) während der Arbeit entwickeln können. Damit man trotzdem bleibt, gibt es via Gehalt externe Motivierung. Wenn durchschnittliche Ergebnisse im Markt genügen, ist das eine Möglichkeit.
Neue Denke:
Höchstleistung entsteht nicht (mehr) durch Motivierung. Sondern durch Motivation. Die entsteht, wenn es gelingt Bedürfnisse und Interessen zu harmonisieren.
Ein Bootsbauer lackiert jahraus jahrein die Rohbauten, die die Kollegen gebaut haben. Der Job ist ok. In einer halben Stunde ist Feierabend. Dann geht das Leben los. Was es dann alles zu tun gibt! Da kommt der Chef um die Ecke: „Du wolltest doch schon immer ´mal einen Kiel legen – wir haben einen passenden Auftrag dazu.“ Der Bootsbauer: „ich mach´ die Arbeit hier noch fertig und komm´ dann sofort ins Planungsbüro.“ Feierabend vergessen. Jetzt ist der Mensch motiviert. Der Chef hat die Struktur geändert. Jetzt sind Interessen verändert. Statt für Geld (ok – auch) arbeitet man für (s)ein Werk. Ein Mensch ist in Resonanz mit einem Problem. Interesse und Bedürfnis (Gefühl = geile Sache; einen Kiel legen) fallen zusammen.
Das ist die Grundlage für Höchstleistung. Hoffentlich hat der Kollege auch das Können. Und nicht nur das Wissen.
Wie Interessen haben auch Bedürfnisse eine Hierarchie. Sportler ignorieren den Schmerz beim Training. Das Bedürfnis nach einem sportlichen Erfolg und dem Applaus des Publikums ist größer. Der Anstrengung setzt man sich aus, weil ein anderes Bedürfnis höher ist. Es ist also nicht richtig, dass Menschen grundsätzlich ihren Bedürfnissen folgen.
Hier in kurzer Form als Zündfunke zum Nachhören und das Transkript zum Nachlesen desselben:
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Klassische Organisationsentwicklung legt sehr viel Wert darauf, dass Menschen ihre Interessen nicht erkennen oder dass man ihnen über ihre eigenen Interessen Illusionen verkauft. Das steckt oft dahinter, wenn man Konfliktmanagement betreibt, im klassischen Sinne. Da sind zwei Menschen, die haben verschiedene Interessen und deswegen haben sie Streit. Wenn ich jetzt einem von beiden einreden kann, dass das gar nicht sein Interesse ist, sondern etwas anderes, dann können die sich vertragen. Der Witz ist nur, dass der Interessensgegensatz bleibt. Wenn ich Interessensgegensätze tatsächlich zum Verschwinden bringen will oder muss, dann muss ich die Organisationsstruktur verändern. Die verändert auch die Interessen.
Wieso geht ein Mensch arbeiten? Ein Mensch geht arbeiten, weil er sonst keine Existenzgrundlage hat, außer er ist reich und Papi überweist jeden Monat einen Scheck, dann muss er nicht arbeiten gehen, aber normalerweise muss ein Mensch arbeiten gehen, damit er eine Existenzgrundlage hat. Das ist sein Interesse. Sein Bedürfnis ist angeblich, bei diesem Arbeiten möglichst wenig Aufwand zu betreiben, was ja stimmt. Wenn ich zwar das Interesse habe, arbeiten zu gehen, aber kein Bedürfnis, das heißt, das, was ich da arbeiten gehen soll, erzeugt bei mir kein positives Gefühl, dann brauche ich eine Motivierung. Dann muss mir jemand sagen: ok, du fühlst dich schlecht, wenn du arbeiten gehst, aber ich bezahle dir was. Wie viel muss ich dir bezahlen, damit du zum Arbeiten kommst? Das ist alte Denke. Neue Denke wäre: du wolltest doch immer schon mal… was weiß ich, beim Bootsbau vorne den Kiel legen, weil das können nicht viele. Das wolltest du doch immer schon mal machen. Wir haben jetzt einen neuen Auftrag reingekriegt, da könntest du das mal machen. Das heißt, dann würde der auch kommen, wenn es ihn was kosten würde. Da müsste ich ihm gar nichts dafür bezahlen und jetzt habe ich seine Interessen verändert. Nämlich das Interesse, nicht arbeiten, um Lebensunterhalt zu haben, sondern das Interesse daran, einen Kiel zu legen, das wollte er immer schonmal machen. Da laufen jetzt Interesse und Bedürfnis zusammen. Es ist harmonisch. Und jetzt ist der Mensch motiviert. Jetzt muss ich ihm nicht mehr eine Geschichte erzählen, damit er kommt und den Kiel legt, sondern jetzt habe ich seine Lebenssituation so verändert, dass ich ihm etwas anbieten kann, was ihn interessiert. Jetzt fallen Interesse und Bedürfnis plötzlich zusammen. Das ist Interessenmanagement.
Die Interessen haben eine Hierarchie, sowieso, aber das ist bekannt. Die berühmte Maslowsche Pyramide. Es ist ein höheres Interesse, genügend zu essen zu haben, als das Interesse, ein schönes Auto zu haben. Auch die Bedürfnisse sind hierarchisch. Es gibt Bedürfnisse, die habe ich, zum Beispiel das Bedürfnis, zu rauchen. Wenn ich mir aber gerade das Rauchen abgewöhne, dann versuche ich, ein Bedürfnis zu ignorieren. Also nicht zur Wirkung kommen zu lassen. Oder wir denken an den Sportler: wieso fügt sich ein Sportler beim Training Schmerzen zu? Er geht über die Schmerzgrenze hinaus, weil er weiß, erst jenseits der Schmerzgrenze wird ein Muskel aufgebaut. Der hat natürlich das Bedürfnis, Schmerzen zu vermeiden, wie jeder Mensch auch, er ignoriert das aber, weil er ein anderes Bedürfnis auch noch hat: nämlich, Applaus zu ernten bei der nächsten Sportveranstaltung, wenn er einen Sprint gewinnt. Das ist auch ein Bedürfnis. Die stehen jetzt gegeneinander und das hierarchisch höhere Bedürfnis gewinnt. Oder ein Künstler – welchem Künstler macht es Spaß, eine neue komplizierte Etüde wirklich so lang zu spielen, bis sie anhörbar ist? Das ist ja nicht angenehm. Aber genau dieser Anstrengung setzt sich ein Künstler aus, weil das Bedürfnis, irgendwann Menschen Kunst zu zeigen, viel höher ist, als einen Mittagsschlaf zu machen statt auf den Tasten rumzuhauen. Das ist nur ein Hinweis darauf, dass man das nicht so missverstehen darf, dass Menschen immer grundsätzlich ihren Bedürfnissen folgen. Das ist nicht richtig.
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Bis nächste Woche!
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Bildnachweis: iStock/17293548-David Clark.
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