Zwei Sechsen sind keine Überraschung
13. September 2023 - Ralf Hildebrandt
Liebe Leserinnen, werte Leser,
Dynamik ist die Ursache vieler Probleme moderner Unternehmen und ein Maß für die Anzahl von Überraschungen, die ein Unternehmen aushalten oder erzeugen muss, um in einem dynamischen Markt zu bestehen. Reaktionen auf Überraschungen lassen sich nicht vorweg nehmen, weil man Überraschungen vorher nicht kennen kann und sie sich auch nicht als solche wiederholen – kurzum:
Überraschungen sind akausale Ereignisse, sie haben in der Vergangenheit keinen Grund.
Dass etwas keinen Grund haben könnte, also nicht in einen kausalen Wirkungszusammenhang mit einer Ursache gestellt werden kann, ist (oft) nicht vorstellbar, weil der Verstand dafür nicht gemacht ist. Dafür gibt es das Gefühl, welches umgangssprachlich meist im Bauch verortet wird. Tatsächlich sitzt es im Gehirn (im limbischen System) gleich neben dem Verstand (in der vorderen Stirnhirnrinde). In der modernen Organisationsentwicklung hat es sich bewährt, Verstand von Gefühl zu unterscheiden und den Menschen als Einheit dieser Unterscheidung zu verstehen. Wenn man die Unterscheidung nicht kennt, verschwindet das Gefühl und im Versuch, Überraschungen zu verstehen (was nicht möglich ist), werden sie gar nicht so selten mit seltenen Ereignissen verwechselt. In der beraterischen Praxis hilft dann ein Beispiel, um wieder Klarheit zu schaffen:
Wenn man zwei Sechsen würfelt, ist das keine Überraschung, auch wenn es sich so anfühlt. Zwei Sechsen sind ein seltenes Ereignis.
Wenn man einmal zur Kenntnis genommen hat, dass seine Seiten mit den Ziffern 1 bis 6 versehen sind, kann Würfeln nicht überraschen – niemand fragt sich, woher eine 6 kommt, ein Würfel würfelt immer zwischen 1 und 6. Und wenn man zweimal hintereinander eine 6 würfelt, hat man eben Glück gehabt, überrascht ist man davon nicht.
Eine Überraschung wäre eine 7.
Wie Sie sich vorstellen können, würde der Verstand in diesem Moment gar nichts mehr verstehen. Er denkt sich: „Das kann nicht sein. Das gibt’s doch nicht – es muss doch irgendetwas zwischen 1 und 6 gewürfelt werden. So war das immer!“.
Das akausale Ereignis „7“ lässt sich vom Verstand erst einmal nicht einordnen, Verstehen muss sich erst entwickeln. Also sitzt man da und ist verdutzt. Aber nur, weil man nichts verstanden hat, ist das Leben deshalb nicht beendet. Man kommt mit der Situation zurecht, denn auf die un-verstand-ene Situation reagiert man mit Gefühl. Dabei wird jede Teilnehmerin der Würfelrunde anders reagieren, wer wie reagiert lässt nur beobachten, (vorher) wissen kann man es nicht.
Wenn Unternehmen mit Überraschungen konfrontiert werden verhält es sich ähnlich. Sie gehen nicht unter, nur weil der Markt eine 7 würfelt. In jedem Unternehmen stecken Menschen, deren Gefühlsapparate, von einer 7 überrascht, problemlösende Gefühle erzeugen: „Ey, was ist das denn – eine 7?! Das ist ja mal interessant. Wollen wir doch mal sehen, was da dahintersteckt, ich hab‘ vielleicht schon eine Idee.“ Solche Gefühle kann nicht jeder erzeugen, dafür braucht es das passende Talent:
Ein zum Problem passendes Talent erzeugt problemlösende Gefühle.
Und die wiederum sind Voraussetzung für den Verstand, zu arbeiten – nicht umgekehrt. Bei gegebenem Talent (was sich freilich immer erst hinterher feststellen lässt) entwickelt sich aus einem problemlösenden Gefühl eine Idee (eine Idee ist ein problemlösender Gedanke), wie man mit der Überraschung umgehen könnte. Der Verstand erzeugt keine Ideen, er kann sie nur erkennen und festhalten.
Bis übernächste Woche!
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