Ein Bad in der Krise

22. April 2016 - Ralf Hildebrandt

Erinnern Sie sich an Ihre letzte Krise, liebe Leserin, lieber Leser? Vielleicht durchleben Sie gerade eine. Oder Sie sind ihr eben entwichen. Was würden Sie sagen, ist eine Krise – außer lästig und bedrohlich? 

In der Rückschau wird oft davon berichtet, dass „damals – ohne Krise – das neue Denken gar nicht eingesetzt hätte“. Oder, „dass die Krise noch gerade rechtzeitig kam und dass man die besten Ideen immer in einer Krise gehabt habe“. Es dauert zwar im Gespräch ein wenig, aber irgendwann kommen solche Erinnerungen hoch. Zum Beispiel, wenn man auf der Hinterbühne nach den Ursprüngen von Innovation forscht. Situationen, in welchen Bewährtes nicht mehr funktioniert, nennt man Krisen.

Eine Krise ist notwendig – sie ist die Situation vor einer Idee. 

Wenn Sie mitten in einer solchen stecken, ist das kaum tröstlich. Schließlich muss man erst einmal eine Idee haben. Vielleicht lesen Sie trotzdem weiter.

Das Gehirn ist das Organ, welches die meiste Energie verbraucht (ja, hier kommt oft der Einwand man kenne jemanden, da wäre das sicher der Magen oder das Mundwerk). Das Hirn strengt sich nur an, wenn es dafür einen Grund gibt. Normalerweise liefert das Hirn für eine Situation, die man gerade erlebt, irgendetwas, was sich schon in der Vergangenheit bewährt hat. Es kramt in seinem Wissen und stellt etwas zur Verfügung, was funktionieren könnte.

Eine neue Idee hingegen, eine Art von Vorgehen, das man noch nie zur Verfügung hatte oder noch nicht ausprobieren konnte, bedeutet für das Hirn immer eine große Anstrengung. Und nur das ist eine Idee. Also etwas zu bauen, zu basteln, was zu einer neuen Situation passen könnte, man aber noch nicht im eigenen Gedächtnis zur Verfügung hat. Offensichtlich ist das Gehirn so gebaut, dass es diese Anstrengung nur unternimmt, wenn es nicht mehr anders geht.

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Dass das Ideen-haben eine äußerst anstrengende Sache ist, ist weitgehend unbekannt.

Das kann man am Ritual des Brainstormings anschauen. Da sind die Menschen fröhlich und freuen sich darüber, dass das, was sie sagen, auf bunte Kärtchen geschrieben und Idee genannt wird. Das ist eine Illusion. Das sind nur Zufallsereignisse im Gehirn. Was das Hirn da vor sich hinplappert, kann man natürlich beobachten und auf Kärtchen schreiben. Aber das hat mit Ideen nichts zu tun.

Eine Idee ist immer bezogen auf eine beängstigende, schwierige Situation. Erst das ist die notwendige Umgebung für eine Idee. Nicht so beim Brainstorming: bloß kein Stress. Alles locker. Ganz im Gegensatz zur Vorsituation einer Idee. Der Stress ensteht dadurch, dass man merkt: wir kommen mit dem, was wir haben, nicht mehr weiter. Wenn uns jetzt nicht etwas einfällt, wird es ganz schwierig. 

Das Risiko ist natürlich vorhanden, dass einem nichts einfällt. Dann bleibt die Situation schwierig und das erzeugt berechtigterweise Angst. Wenn uns nichts einfällt, geht es uns schlecht. Genau das wird in Brainstorming-Workshops aber tunlichst vermieden. Im Gegenteil: man muss locker und gut drauf sein, damit die Ideen sprudeln. Aber das, was da sprudelt, sind keine Ideen – sondern nur zufällig entstandene Gedanken. 

Es könnte sein, dass viele Menschen in ihrem normalen Job die Situation vor einer Idee noch gar nicht erlebt haben. Wir haben zumindest den Eindruck. Die meisten sind äußerst überrascht, wenn sie solch eine Situation erleben. Zum Beispiel in einer Projektsitzung: das Projekt hat ein gewisses Alter, man hat schon erfolgreich gearbeitet und plötzlich befindet man sich in einer Sackgasse. Jetzt ist die Frage: geht das Projekt weiter, müssen wir es zurückgeben, haben wir uns alle blamiert? Dann entsteht dieser typische Stress (manchmal Angst). Viele sind dann der Meinung, dass es jetzt nicht mehr weitergeht. Das Projekt ist tot. Alles vorbei.

Und dann geht es doch weiter, dann werden Ideen geboren und alle total überrascht. Wie konnte denn so etwas sein? Wir hatten doch eine Sackgasse, wir hatten doch schlechte Stimmung, Stress, Angst? Wie kann denn ausgerechnet in einer solchen Situation eine Idee entstehen, die wieder Licht in das Ganze bringt, die die Fortsetzung unserer Aktivitäten ermöglicht?

Erfahrene Projektleute überrascht das weniger oder gar nicht. Die sind das gewohnt, dass das immer so ist. 

Ob man nun jemandem eine Krise wünschen muss, damit er weiterkommt? 

Bis nächste Woche!

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Bildnachweis: istockphoto Santa_Ri; 36983186

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