Eiternde Zähne – Interesse & Bedürfnis, Teil 1

24. Juni 2015 - Ralf Hildebrandt

„Hier glaubt doch jeder, er kann machen, was er will!“ –  Seufzer. Donnerstagabend, 19:48 Uhr. 

Damit der eigene Laden als eine Einheit operieren kann, muss die individuelle Autonomie der Kollegen eingeschränkt sein. Soweit, so bekannt. Das erzeugt unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Interessen. So etwas handelt man sich ein, wenn man Teil eines Unternehmens ist. Diese Interessen gilt es zu harmonisieren. Oder zu kompensieren. Falls Ersteres nicht gelingt.

Wie harmonisiert man Interessen?
Vor ein paar Jahren war es en vogue, das Thema mit einem Schlachtruf und dem entsprechenden Veranstaltungsgetöse zu erschlagen: „we are one“, „One XYZ“, „an ABC of ONE“, usw..  Behelfsweise fand man das so auch als Corporate Value verankert.
War das falsch? Es kommt darauf an. In tayloristischer Organisation reicht es aus, Vielfalt durch Normierung zu kompensieren. Gesteuert. Man trägt Uniform. Der Einzelne mit seinen Ideen wird nicht gebraucht – auch wenn man das Gegenteil bekundet. Wenn im Markt nicht viel los ist (kaum Überraschungen), ist das auch das Leistungsfähigste und Schnellste. 

Mit höherer Dynamik steigt der Aufwand für machtbasiertes Interessensmanagement allerdings an. Es kommt öfter vor, dass der wachsende Steuerungsaufwand die gesamte Wertschöpfung auffrisst.
Höchstleister kompensieren Gegensätze nicht, sondern erzeugen harmonische Interessen. Diese entstehen, wenn den Mitarbeitern Gelegenheit gegeben wird, auf Basis ihrer Talente Herausragendes zu leisten. Mit ein paar interessanten Nebeneffekten auf Motivierung durch Argument, Belohnung und Strafe.

Das liest sich recht einfach. Ist es in der Praxis aber nicht. Es lohnt sich, hier ein wenig außerhalb der Normierung zu denken. Und es gibt Gelegenheit in einem Beitrag schlau daherzuschreiben. 

Wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzen will, hilft es, wenn man als erstes Interessen und Bedürfnisse unterscheidet. Im Gegensatz zu Bedürfnissen sind Interessen die objektiven Ursachen von Motiven (beziehungsweise Motivation). Interessen unterliegen also nicht dem menschlichen Willen (!). Sie können nur indirekt verändert werden. Nur wenn ihre Ursachen verändert werden können, so verändern sich auch die Interessen. Hinzu kommt, dass der Zusammenhang von Interessen und ihren Ursachen kein mechanischer, sondern ein unberechenbar kreativer ist. Es gibt deshalb keine Methode für das Management von Interessen. 

Die Kurzfassung:

  • Ein Interesse ist objektiv, d.h. eine Person hat ein Interesse, unabhängig davon, was sie davon hält
  • Ein Bedürfnis ist ein Gefühl
  • Interessensmanagement muss sich mit den Existenzbedingungen der Menschen beschäftigen
  • Bedürfnismanagement kann man sich damit sparen
  • Organisationsentwicklung im 21. Jahrhundert ist im Kern Interessensmanagement

Schwierigkeiten gibt es immer dann, wenn man meint, man könne sich die Unterscheidung sparen. Und dann glaubt, dass der Mensch seine Interessen im Griff hat. Weiter ist zu beachten, dass sich Interessen nur über Bedürfnisse bemerkbar machen. Die Kopplung von Ursache und Interesse ist den Akteuren meist unbekannt.

Der vereiterte Zahn – eine Übung
Wann hatten Sie zuletzt das Bedürfnis, Ihren Zahnarzt zu besuchen?

Crazy dentist

Die meisten Menschen haben keineswegs das Bedürfnis. Aber es liegt in ihrem Interesse. Denn wenn sich die Entzündung nicht bessert (und das tut es nie), kann das gefährliche Folgen haben. Unabhängig davon, ob einem das nun gefällt oder nicht.
Die Kopplung kann man in diesem Fall schön beschreiben: irgendwann tut der Zahn so weh, dass ich auch ein Bedürfnis entwickle, den Schmerz loszuwerden. Und dann gehe ich hin. Was sich in der Zwischenzeit abspielt, ist höchst individuell. Für  viele ist es wohl ein innerer Kampf. Irgendwann im Ablauf nehmen jedenfalls die Bedürfnisse auf die Interessen einen Bezug. Dass Menschen ihre Interessen oft gar nicht kennen, zeigt sich in mangelnder Disziplin –  unter anderem beim Zähneputzen.

Da Interessensmanagement so ein interessantes Thema ist, gibt es nächste Woche den zweiten Teil. Einstweilen empfehlen wir Zündfunken und Transkript dazu – ganz ohne Bohrer:

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Wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzen will, ist es gut, wenn man als erstes Interessen und Bedürfnisse unterscheidet und unterschieden wird das am besten dadurch, dass man Interessen als objektiv annimmt, also ein Interesse einer Person ist unabhängig davon, was die Person davon hält und Bedürfnis ist Gefühl.

Beispiel: wenn ich einen vereiterten Zahn habe, ist es keineswegs – also bei den meisten Menschen jedenfalls – keineswegs ein Bedürfnis, zum Zahnarzt zu gehen. Ist ja unangenehm. Aber es entspricht meinem Interesse. Interesse heißt: wenn du nicht zum Zahnarzt gehst, wirst du irgendwann krank, lebensgefährlich krank. Und zwar unabhängig davon, was du davon hälst, dass die Welt so gebaut ist und dass die Welt so gemein ist. Wenn du nicht zum Zahnarzt gehst, wirst du krank und dann hast du Nachteile.

Natürlich ist es so, dass die Interessen irgendwann zu Bedürfnissen führen. Irgendwann tut der Zahn so weh, dass ich auch ein Bedürfnis entwickle, den Schmerz loszuwerden. Nicht ein Bedürfnis, zum Zahnarzt zu gehen, sondern den Schmerz loszuwerden. Und dann gehe ich.

Und Interessenmanagement ist also nicht das Sich-Beschäftigen mit Menschen, sondern das Sich-Beschäftigen mit den Ursachen von Interessen. Beim Zahnarzt wäre das: wieso hast du einen kranken Zahn bekommen? Ernährst du dich falsch? Also müssen wir mal gucken, dass du etwas anderes isst. Dann würden sich deine Interessen ändern. Du müsstest dann zum Beispiel nicht dafür sorgen, dass genügend Zahnärzte da sind, weil du wirst ja so gut wie nie mehr krank. Deshalb würde es dir nichts ausmachen, wenn du tatsächlich krank wirst, dann weite Strecken mit dem Zug zu fahren oder sonst irgendwas. Interessenmanagement ist immer ein Sich-Beschäftigen mit den Existenzbedingungen von Menschen und nicht mit Menschen selbst.

Bedürfnisse, das ist immer ein Sich-Beschäftigen mit Menschen. Also ist Interessenmanagement in unserem Sprachgebrauch Organisationsentwicklung und Bedürfnismanagement was Unnötiges. Weil die Bedürfnisse ja über langfristig, früher oder später, auf die Interessen Bezug nehmen. Also Schwierigkeiten in der Organisationsentwicklung gibt es immer dann, wenn man das nicht unterscheidet, wenn man meint, die Interessen eines Menschen sind etwas, was er selber im Griff hat, was er selber macht, was er selber ändern kann. Zum Beispiel durch Argumente oder zum Beispiel durch Belohnung oder Strafe kann man Menschen, so denkt man, dazu bringen, ihre Interessen zu verändern. Aber das Maximale, was man verändern kann, sind ihre Bedürfnisse, nicht ihre Interessen. Ihre Interessen sind objektiv, also im alten Sinne objektiv, unabhängig und außerhalb des Bewusstseins. Interessen sind etwas, was die Menschen vorfinden und nicht machen. Ob sie ihre Interessen immer erkennen, ist wieder eine andere Frage.

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Bis nächste Woche!

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