Gibt´s Probleme?

25. Oktober 2024 - Ralf Hildebrandt

Werte Leserinnen, liebe Leser, 

jedes Unternehmen hat Probleme, und davon jede Menge. Manche haben auch mit dem Begriff Probleme und sprechen lieber von Herausforderungen (Challenges). Möglicherweise, weil das Probleme haben mit Schwäche konnotiert ist und niemand für ein schwaches Unternehmen arbeiten will, schon gar nicht man selbst. Weil sich Unternehmen, auch starke, aber den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigen, braucht man für Probleme einen anderen Begriff und nennt sie Herausforderungen. Das meint zwar das Gleiche, klingt aber gleich viel besser, weil die Verbindung zur Schwäche fehlt.

Grundsätzlich kann man seine Probleme natürlich nennen wie man will, mit begrifflichen Zugeständnissen tut sich moderne Organisationsentwicklung allerdings schwer, denn unpräzise oder synonym verwandte Begriffe können nützliche Unterscheidungen verdecken, und verstehen erschweren oder sogar komplett unmöglich machen. Begriffe auszuwechseln ändert nicht die Welt und Probleme verschwinden nicht, wenn man sie anders nennt. Sie werden dadurch nicht mal kleiner. Wir bleiben deshalb beim Begriff Problem und definieren ihn, wie Ihnen das von anderen Blogbeiträgen vielleicht bekannt ist, nicht moralisch, sondern wissenschaftlich als „Zustand den man nicht lassen kann, wie er ist“, oder genauer:

Ein Problem ist ein Zustand, der nicht ohne Schaden ignoriert werden kann.

Mit Schwäche haben Probleme also nichts zu tun, weshalb man sie auch nicht als Herausforderungen verkleiden, sondern davon unterscheiden muss. Denn im Gegensatz zu Herausforderungen, von welchen man sich herausgefordert fühlen kann oder auch nicht, kann man sich (seine) Probleme nicht aussuchen. Unter geringer Dynamik hätte man vielleicht noch auf einen moraldesinfizierten Problembegriff verzichten können („don´t bring me problems, bring solutions“), geringe Dynamik bedeutete viel Routinearbeit, im Extremfall Fließband, man hatte es hauptsächlich mit bekannten Problemen zu tun. Mit den Problemen selbst hatte man sich deshalb, weil bekannt, nicht lange aufgehalten, und sich stattdessen gleich mit Lösungen beschäftigt, und sich aufs methodische Abarbeiten ebenjener konzentriert. Und falls man selbst nicht wusste wie man das Problem lösen sollte, hatte man seinen Chef befragt und der hatte es dann gewusst und einem gesagt, was man zu tun hat.  

Unter hoher Dynamik hingegen startet die Bearbeitung eines Problems nicht mit irgendeiner Lösung (Methode), sondern beim Problem.

Hohe Dynamik bedeutet Zunahme neuartiger, oder in Teilen neuartiger Probleme, für deren Lösung es, weil neu, noch keine Methode (Framework, XYZ-Model oder Best Practice) geben kann. Alles, was man hat ist (s)ein Problem. Und – Drama – ganz allein mit dem Problem ist es eben wichtig, dass man ohne Schwächeanfall mit anderen darüber reden kann, und nicht, nur weil man keine Probleme haben will oder sollte, gleich zur vermeintlichen Lösung springt. Probleme zu haben, oder haben zu dürfen, und darüber mit anderen frank und frei reden zu können, ist wichtig. Zum einen, damit gewusst werden kann, dass die eigene Organisation, und damit auch man selbst, nur durchs Lösen neuer Probleme dazulernen können. Und zum anderen, weil das Management und dessen Methoden als Lernumgebung flach fallen. Wenn man wissen will, ob das, was man zur Lösung des Problems vorgestellt hat auch tatsächlich einen Beitrag leisten kann, dann braucht man dafür das Problem selbst als Lernumgebung (und damit auch den Begriff) – wird es kleiner, oder bleibt es, wie es ist, oder wird es sogar größer. Oder anders:

Wenn man wissen will, ob eine Handlung zur Lösung eines neuartigen Problems etwas beitragen kann, dann muss man dafür das Problem selbst befragen. 

Bis übernächste Woche!

 

 

 

 

 

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