Oh – sie geht?

21. Oktober 2016 - Ralf Hildebrandt

Dynamikrobuste (neuerdings auch „agile“) Organisationsentwicklung findet heute in jedem Unternehmen statt, welches sich im Markt behauptet. Der Markt erzieht das Unternehmen. „Es“ passt sich an. Es wurde nicht angepasst. Man hat sich das eingehandelt. Das kommt an allen Ecken und Enden vor. Auch in Ihrer Organisation. Dumm nur, dass man es nicht (oder nur sehr schwer) sehen kann. Es ist schließlich neu und damit für alles Bestehende eine potentielle Bedrohung. Das Bestehende tut auch gut daran, nicht jede Schnapsidee (eines neuen Besens?!) als wegweisend anzunehmen. Dann hätte sich das Unternehmen ja längst aufgelöst. Auch nicht gut.

Unsere eifrigen Leser stöhnen nun vielleicht: „jaja – das Neue steckt schon drin – wissen wir; gibt´s heute auch ´was anderes zu lesen?“.  Ja, schon. Wir wollten es nur noch einmal betonen – Erkenntnis ist schließlich ein Prozess. Und wenn man glaubt, man hätte verstanden, tappt man doch wieder in die nächste Denkfalle und gestaltet seine Kultur… also ´was anderes.

Der Ursprung solcher Inseln, die sich der Marktdynamik angepasst haben, ist immer ein Führungstalent. Das ist jemand, der nicht anders kann, als immer wieder Ideen zu „haben“, wenn etwas Überraschendes (=Dynamik) geschehen ist. Das kann nicht jeder können wollen. Bei verwaltenden (bzw. „administrativen“ – klingt cooler) Tätigkeiten möchte ich auch nicht erleben müssen, dass mich jemand ideenreich anders behandelt: „wir haben eine ganz neue Idee für ihren Einkommenssteuersatz!“ 

Solche Führungstalente haben sich mit der Zeit im Umfeld ihrer Insel hohes Ansehen eingehandelt und erringen mit der Zeit eine Art Meisterschaftsstatus in moderner Organisationsentwicklung. Die allermeisten bekommen das gar nicht mit, was sie da tun. Ab und zu kommen wir ja in den Genuss jemanden zu treffen, der so ist.. Bzw. so geworden ist. Erzählen Sie ihr bzw. ihm dann einmal etwas von dynamikrobuster Strukturentwicklung und dass der Ursprung bei Ihrem Gesprächspartner selbst läge. Sie werden ein freundliches „Aha!“ ernten – vielleicht Stirnrunzeln. Aber im Prinzip fragt sich Ihr Meister eigentlich, was Sie von ihm wollen und geht dann wieder seiner Arbeit nach. Er kann das nicht erkennen. Wie ein Fisch dem Sie erzählen wollen, wie toll er sich im Wasser bewegt.

Es gibt aber einen Moment in der Karriere eines solchen Meisters – da scheint er etwas zu merken. Und auch seine dynamikrobusten Gesellen der dezentralen Organisationsentwicklung. Das ist der Moment, wenn nicht mehr abzustreiten ist, dass es zur Rente (oder anderswo hin) nicht mehr weit ist.

Two old shabby suitcases, stand forgotten on the road in a faded grass.

Meist liegt das ca. 1 Jahr vor dem Ausscheiden. Man kann sich dann nicht mehr dagegen wehren, die Zeit danach ständig mitzudenken. Das Gefühl sagt einem, so wird es nie wieder sein. Das stimmt auch. Aber es ist meist ein Tabu. Wird man ohne den Alten überhaupt funktionieren können? Beiden Seiten (Meister & Gesellen) fällt dann auf, dass da wohl doch mehr ist, als das von HR angelieferte Skillprofil für den Ersatz-Manager – welches bevorzugt auch noch einem Headhunter zur Verfügung gestellt wird. Aber was ist das, was da fehlt?

Eins ist klar – da wird ein Loch gerissen werden. Und wenn Sie so etwas schon einmal erlebt haben, wissen Sie auch, dass es sich dabei nicht um eines handelt, welches man mit der Schaufel wieder zuschütten könnte. Sondern eher um einen Bombenkrater. Es geht um auch um Millionen, wenn der Meister entsprechend verdrahtet war. Und das wollen Sie allen Ernstes einem Skillprofil, einem Headhunter und dem meilenweit entfernten Management überlassen? 

Tun Sie es nicht. Wenn Sie so jemanden kennen (oder selbst demnächst das Weite suchen), setzen Sie dem etwas entgegen. Denn von Ihrem Management können Sie das nicht erwarten. Ihre Form von Organisationsentwicklung findet doch im Unterholz statt! Gehen Sie stattdessen taktisch vor und in Vorlage. Entsinnen Sie sich, dass ein Skillprofil nur den Wissensanteil abdeckt. Wie viel % der „unternehmerischen Performance“ deckt das ab – 20? Erklären Sie Ihrem Management also, was an „Deep Smarts“ (eine Umschreibung für Können = 80%) mit der Zeit entstanden ist. Ergänzen Sie das Skillprofil (blau) durch die Deep Smarts (rot). Denn bei hoher Dynamik muss das Können gefördert werden – Wissensmanagement reicht dazu nicht mehr aus. Wissen und Können zusammengenommen können Sie gerne Kompetenz nennen. 

Unterbreiten Sie Ihrem Management rechtzeitig oder sobald wie noch möglich auf 3 Power-Point-Folien folgendes „Transition-Konzept“ (das machen Sie doch gern!): 

  1. Zeigen Sie die Größe des Problems in Zahlen auf: „5 Millionen über 3 Jahre“ (brauchen Sie dazu Tipps? Fragen Sie Ihren Controller um Rat – der freut sich). Machen Sie aus einer HR Aufgabe ein Business-Problem – denn es ist auch eines!
  2. Erweitern Sie den Begriff von Management – ergänzen Sie Steuerung um Führung. Schalten Sie das Licht an und machen Sie auf die fehlenden 50-80% außerhalb des Skillprofils aufmerksam – nehmen Sie diesen Denkzettel zu Hilfe.
  3. Geben Sie den fehlenden X % einen Namen – nennen Sie es Können, wenn Deutsch bei Ihnen noch funktioniert. Sonst besser irgendetwas, was mehr Eindruck macht (s.o. Deep Smarts, …) und führen Sie dazu maximal 5 Bullets auf, woraus das Können besteht. Ordnen Sie es ansprechend auf der Folie an (im Kreis).

Jetzt  müssen wir nur noch klären, was das denn unter 3. sein könnte. Das sind Funktionen. Als Meister haben Sie natürlich keinen Schimmer, welche das sind. Bitten Sie Ihre Gefolgschaft also, man möge sich in einer ruhigen Stunde einmal Notizen machen. Oder Sie initiieren das, wenn Sie zur Gefolgschaft gehören: 

  • was kommt da auf uns zu – was macht mir Sorgen?
  • was haben wir benutzt?
  • worauf haben wir uns verlassen?
  • wovon sind wir einfach immer ausgegangen, dass es da ist? Ganz selbstverständlich?

Das ist echte Arbeit – gar nicht so einfach. Aber viel besser als nach dem Ausscheiden jahrelang Buschfeuer auszutreten. 

Niemand wird einen Meister(in) zu 100% ersetzen können – das muss auch gar nicht sein. Funktionen können auf vielerlei Art erzeugt werden. Letztlich gibt es keinen Königsweg, um einen Könner zu ersetzen. Aber mit den kleinen Tipps oben bleibt der wichtigste Teil der Leistung einer Insel wenigstens nicht mehr im Dunkeln. Man kann das Ganze etwas professioneller angehen. Das macht den Unterschied. 

Bis nächste Woche!

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