Ist Mails schreiben kompliziert oder komplex?

8. März 2024 - Ralf Hildebrandt

Werte Leserinnen, liebe Leser, 

die meisten (vielleicht alle) Probleme, die Sie tagtäglich bearbeiten sind „dual“. Sie enthalten eine Mischung aus komplexen und komplizierten Anteilen, sind also gewissermaßen „komplexiziert“. Um den komplexen (überraschenden) Teil zu lösen braucht es Ihre Kreativität (eine Idee), den komplizierten Teil arbeiten Sie methodisch ab, dafür braucht es Disziplin. Welche Art der Arbeit gerade dominiert, bestimmt das Problem. Am Alltagsproblem „Mail schreiben“ lässt sich das leicht beobachten.

Wenn Sie mit einer Mail auf ein Problem hoher Komplexität reagieren, dann merken Sie das daran, dass Sie sich erst einmal überlegen müssen, was (genau) Sie überhaupt schreiben wollen. Sie denken nach, suchen nach einer Idee, es dominiert Komplexität. Bis Sie im Thema „drin“ sind braucht es eine Weile. Wie lang genau können Sie vorher nicht wissen, Sie müssen sich von sich überraschen lassen. Die Tastatur liegt unberührt vor Ihnen, der Cursor blinkt, es herrscht Ruhe – die Kompliziertheit ist gering. Um Ihrer Kreativität auf die Sprünge zu helfen greifen Sie vielleicht zu Papier und Bleistift, oder stehen auf und stellen sich ans Whiteboard. Aufs komplexe Hoch zu kommen kann ganz schön anstrengend sein (ist es meistens), und als Sie endlich oben sind, ist es auch schon wieder vorbei. Sie wissen, was Sie schreiben wollen, Ideen brauchen Sie nun keine mehr. Die Komplexität sinkt, es wird kompliziert. Jetzt kommt die Maschine zum Einsatz, Sie hauen in die Tasten und schreiben, was Sie vorgedacht haben. Überraschendes passiert nicht mehr, Kompliziertheit dominiert.

Wenn Sie eine Mail schreiben, dann würden Sie die Arbeit, die für den komplexen und den komplizierten Problemanteil gemacht werden muss, nie verwechseln. Wenn Ihnen Ideen fehlen, kämen Sie nicht auf die Idee schneller zu tippen oder sich einen neuen PC anzuschaffen. Dafür müssten Sie noch nicht einmal von komplexizierten Problemmischungen gehört oder gelesen haben, das sagt Ihnen Ihr gesunder Menschenverstand.

Wenn die unsichtbare Dualität moderner Probleme mangels Unterscheidung allerdings unverstanden bleibt und deren Bearbeitung nicht mehr (nur) dem gesunden Menschenverstand überlassen werden kann, weil dafür beispielsweise eine oder mehrere Abteilungen, oder gleich ein ganzes Unternehmen benötigt werden, dann passiert genau das. Es wird versucht, die Unternehmensleistung durch schnelleres Tippen beziehungsweise gesteigerte Kompliziertheit, zu verbessern. Besonders wenn es wieder einmal an der Zeit ist eine neue Technologie zu vermarkten, nimmt der Lärm so zu, dass selbst von Menschen mit gesundem Verstand leicht übersehen werden kann, dass eine Steigerung von Kompliziertheit keine komplexen Probleme löst. Wenn in dynamischer Marktumgebung gleichzeitig die Komplexität steigt, gießt man damit nur Öl ins Feuer.

Wenn Komplexität das entscheidende Problem ist, dann behindert eine Steigerung von Kompliziertheit Wachstum, weil sie Komplexität bindet. 

Bis übernächste Woche!

 

 

 

 

 

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