Alltagsentscheider II

8. Dezember 2023 - Ralf Hildebrandt

Liebe Leserinnen, werte Leser,

komplexe Marktumgebungen erzeugen ständig kleine und größere Überraschungen. Überraschende Situationen zeichnen sich dadurch aus, dass man (noch) nicht weiß (nicht wissen kann), wie es weitergehen soll. Trotzdem muss entschieden werden, damit gehandelt werden kann, weil es weitergehen muss – siehe Beitrag „Alltagsentscheider“ von vorletzter Woche:

Entschieden werden muss nur dann, wenn Wissen fehlt und trotzdem gehandelt werden muss.

Als die Märkte weniger überraschend veränderlich waren, waren Entscheidungen vornehmlich Sache des Managements (von Entscheidern). Heute ist der Bedarf an Entscheidungen viel größer, und obendrein muss schneller entschieden werden, weil die Konkurrenz nicht schläft und die Märkte eng geworden sind. Die große Zahl der tagtäglich anfallenden operativen Entscheidungen ist in den meisten Unternehmen deshalb längst zur Sache derer geworden, die den Alltag meistern. Wenn man so will, hat Dynamik zwei Gruppen von Entscheidern erzeugt:

  • Zum einen die „klassischen“ Entscheider (das Management), die sich um die Voraussetzungen kümmern (sollten), damit der Alltag bewältigt werden kann.
  • Und zum anderen die „dynamischen“ Alltagsentscheider, die sich um die operativen Belange kümmern (und sich kaum als Entscheider bezeichnen würden).

Dass sich Unternehmen (ab einer bestimmten Größenordnung) unter hoher Dynamik zwangsläufig in klassische- und Alltagsentscheider zerlegen, ist oft unbekannt und der Mangel an Erkenntnis kann zu Problemen führen. Entscheiden an sich macht kaum Probleme, das haben beide Gruppen drauf. Probleme macht der Umstand, dass Entscheidungen Verantwortung erzeugen. Denn entschieden werden muss, siehe oben, ja nur dann, wenn Wissen fehlt und trotzdem gehandelt werden muss. Man ist gezwungen auf Basis seines Gefühls (seiner Erfahrung) aus einer Vielfalt von Möglichkeiten eine auszuwählen, wobei erst hinterher gewusst werden kann, ob es auch die „richtige“ (passende) war. Weil man sich dabei immer irren kann, fallen Entscheidungen niemandem leicht. Wenn die Last, die der Zuwachs an Verantwortung mit sich bringt zu groß wird (und die Ursache unerkannt bleibt), wird oft der Ruf nach klaren Zielen laut. In der Hoffnung, klare Ziele mögen die alte Ordnung wieder herstellen und auch operative Entscheidungen, zumindest einen Teil davon, wieder dorthin bringen, wo sie hingehören – ins Management.

Woher der Ruf nach klaren Zielen kommt – wer könnte Klarheit nicht gebrauchen –, weiß niemand so genau. Irgendwann stehen Ziele im Raum und man macht sich daran, welche zu vereinbaren. An der Komplexität der Marktumgebung ändert das freilich nichts und deshalb werden Alltagsentscheider durch klare Zielvorgaben auch nicht entlastet, im Gegenteil. Der Bedarf an Alltagsentscheidungen bleibt und nun müssen sie sich auch noch um Ziele kümmern, die nicht zum Alltag passen – was die Belastung nur erhöht, und Leistung reduziert.

Hilfreicher wäre es, sich über die funktionale Teilung bewusst zu sein, sich gezwungenermaßen zu vertrauen (weil man aufeinander angewiesen ist) und sich gegenseitig zur Verfügung zu stellen, was man braucht. Ziele gehören unter hoher Dynamik nicht dazu.

Bis übernächste Woche!

 

 

 

 

 

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