Schreib mal wieder

23. Februar 2024 - Ralf Hildebrandt

Liebe Leserinnen, werte Leser, 

die Software, mit deren Hilfe dieser Newsletter an Sie verschickt wird, empfiehlt seit einiger Zeit ich solle doch einmal versuchen, meine Blogbeiträge mithilfe von KI zu erstellen – was soll man dazu sagen. Vielleicht „sieht“ die Maschine ja, wie lange ich für einen Text wie diesen brauche und will mir das Leben erleichtern. Also gut, dann soll mir die KI doch einmal mitteilen, wofür das Verfassen eigener (noch) wichtig ist – im Kontext von Dynamik, versteht sich. Der Chat-Bot (ein technisches System) gab zur Auskunft:  

„Das Schreiben im Kontext von Dynamik ist wichtig, um Informationen festzuhalten, Ideen zu kommunizieren und Prozesse zu dokumentieren. Durch das Schreiben können komplexe Zusammenhänge verständlich dargestellt werden und es ermöglicht eine klare und strukturierte Kommunikation zwischen verschiedenen Beteiligten. Darüber hinaus kann das Schreiben im Kontext von Dynamik dazu beitragen, Veränderungen und Entwicklungen innerhalb eines Systems oder einer Organisation nachvollziehbar zu machen und somit zur Transparenz und Effizienz beitragen.“

Okay, gar nicht mal so übel. Ich habe dann noch einige Prompts hinterhergeschoben, weil die Maschine aber nicht gefunden hat, worauf der Bot meines psychischen Systems (meines Bewusstseins) hinauswollte, muss ich es Ihnen nun doch selbst aufschreiben. Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, dass Schreiben dabei helfen kann sich kritisierbar zu machen:

Das Schreiben von Texten erleichtert Kritisierbarkeit.

Sehr sogar!

Sich kritisierbar zu machen ist nützlich, wenn es an Erkenntnis mangelt und gleichzeitig der Verdacht besteht, dass die eigenen Denkfähigkeiten zur Beseitigung des Erkenntnismangels nicht ausreichen könnten. Also beispielsweise immer dann, wenn man sich mit einem Problem beschäftigt, für dessen Lösung man nicht über das benötigte Wissen verfügt, weil das Problem (in Teilen) so neu ist, dass es dafür noch kein Wissen geben kann (und also auch eine KI keines finden würde). In dynamischer Marktumgebung kommen solche Probleme häufig vor. Hohe Dynamik bedeutet, dass man sich als mehr oder weniger wertschöpfend tätiges Individuum mit einer Vielfalt nicht ignorierbarer Überraschungen auseinandersetzen muss, welche, weil nicht ignorierbar, zum Handeln auf Basis von Nicht-Wissen zwingen. Was dann am Dringendsten gebraucht wird ist eine Idee, wie man das Problem angehen könnte. Eine Idee ist noch kein Wissen, aber immerhin eine Art Vorform von Wissen, eine Wissensvermutung („so könnte es klappen“). 

Angenommen, Sie haben so ein Problem und auch eine dazu passende Idee, dann machen Sie sich kritisierbar. Würden Sie sich nicht kritisierbar machen, blieben Sie einsam und müssten mit dem, was Sie selbst zu denken imstande sind, auskommen. Aber das reicht ja nicht, denn dafür ist das Problem, wie gesagt, eine Nummer zu groß. Um sich kritisierbar zu machen könnten Sie sich nun einfach mit kompetenten Leuten zusammensetzen und von Problem und Idee erzählen. Um Größenordnungen effektiver und damit letztlich auch günstiger ist es, wenn Sie sich die Mühe machen und einen Text erstellen. Denn erstens entdecken Sie beim Schreiben, dass Ihnen Ihr Bewusstsein eine Klarheit vorgegaukelt hat, die es noch gar nicht hat. Und die werden Sie natürlich herstellen wollen, bevor Sie Ihren Text dann zweitens an kompetente Leute verschicken, bevor Sie sich mit Ihnen treffen. Wenn andere kompetente Denkstrukturen sich über die Ergebnisse Ihrer Denkstrukturen in aller Ruhe hermachen können, ist die Kopplung vielfältiger Kompetenz von ganz anderen Qualität, als wenn man sich aus dem Stand und auch noch im Beisein anderer etwas ausdenken muss (Faustregel: ein Meeting ist immer nur so gut wie seine Vorbereitung). 

Beim Schreiben selbst geht es dann vor allem darum, sich verstehbar zu machen. Denn Sie (und nicht die anderen) sind der Notwendigkeit ausgesetzt, zu lernen. Und wenn Sie Interesse an Erkenntnis haben und klüger werden wollen, dann geht das nur, wenn andere Sie verstehen können und weil sie Sie verstehen, auch kritisieren und auf Fehler und Denklücken hinweisen können.    

Einen guten Text zu erstellen (um sich kritisierbar zu machen) bedeutet also vor allem, dass der, der den Text erstellt, die Arbeit macht – und nicht die, die ihn lesen.  

Oder anders gesagt:

Ein guter Text ist das zur Verfügung stellen von gemachter Arbeit.

Und weil die Arbeit, die man sich gemacht hat, um etwas durchzudenken verstehbar ist, ist sie auch kritisierbar. Folien (mit Bullets) werden oft aus genau dem gegenteiligem Grund gemacht – um Kritisierbarkeit zu erschweren. Jeder, der schon einmal Bullets erstellt hat weiß, dass und wie man sich bei Bedarf dazwischen verstecken kann.

Bis übernächste Woche!

 

 

 

 

 

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