Finstere Erkenntnis

24. August 2018 - Ralf Hildebrandt

Wenn der Raum, in welchem man sich gerade aufhält, fast bis zur Finsternis abgedunkelt wird, sind Folien meist nicht weit (es sei denn, man sitzt im Kino). Wozu benutzt man Folien, werte Leserinnen und Leser? Um einen Sachverhalt zu erläutern? Haben Sie noch einen anderen Verdacht?

Sie hatten wohl bereits Gelegenheit, das kommunikative System* „Präsentation“ mitzuerleben:

Der Kollege, der immer zu spät kommt, duckt sich gerade noch rechtzeitig unter dem Beamer-beam hindurch. Andere haben sich schon im 35 Grad-Winkel zum Tisch eingerichtet (bei U-förmiger Sitzanordnung). Eben tritt der Präsentator noch elegant einen Schritt zur Seite, um Körperkontakt mit dem noch blinzelnden Zuspätkommer zu vermeiden. Dann geht es los. 

Der Vortragende wirft Folien an die Wand. Er wirft etwas an die Wand, was er selbst gut kennt. Er kennt jeden Strich. Weiß, wie und wann er im Editor die Funktion gesucht hat, um ein Kästchen nur halb zu schattieren. Und auch, weshalb er es nur halb schattiert hat. Vom „Undo“-Befehl kennt er schon seit Jahren das Tastaturkürzel. Er weiß genau, warum er welches „Bullet“ wie geschrieben hat. Die ganze Nacht ist er gesessen. Und auch heute morgen hat er noch am letzten Schliff gearbeitet.

Und nun – während der Präsentation – huscht eine Folie nach der anderen in atemberaubendem Tempo durch die Dunkelheit. Kaum, dass sich die Zuhörerschaft orientiert hat, leuchtet schon die nächste auf. Eben wollte sich noch jemand (ein Neuling) nach dem Grund der Halbschattierung erkundigen… zack – schon kommt die nächste…

Die Erstellung der Folien hat 5 1/2 Stunden verschlungen (eigentlich waren es eher 8). Die Präsentation ist auf 45 Minuten + 15 für Fragen und Diskussion angesetzt (also 58 Minuten und 7 für Fragen; dann müssen aber wirklich alle los). Was die ins Verstehen investierte Zeit angeht, ist das etwa Faktor 10. Oft handelt man sich als Zuhörer nach einer Präsentation deshalb unbemerkt den Eindruck ein, dass man gerade eben von einem ganz Klugen etwas gezeigt bekommen hat. Offensichtlich. Denn man war gar nicht in der Lage, das zu begreifen. Zumindest nicht so schnell. 

Das Sozialsystem „Präsentation“ erzeugt eine Hierarchie, die den Vortragenden schützt.

Das geschieht unbemerkt hinter dem Rücken der Akteure. So ein Präsentator macht Eindruck. Widerworte sind kaum zu erwarten. Man bleibt in sicherer Entfernung. In Sachen Erkenntnis ist diese Form von Kommunikation nicht viel wert. Wenn die Jalousien wieder hochgefahren sind, bleibt es dunkel (es gibt Ausnahmen). 

Weshalb sind Präsentationen in vielen Unternehmen (und gerne auch bei deren externen Beratern) gang und gäbe? Wenn kaum Verwertbares dabei entsteht? Können Sie sich die Vernunft hinter dem Unsinn erklären? An den Menschen liegt es nicht. 

Bis übernächste Woche!

*ein Sozialsystem der Klasse „Kommunikation unter Anwesenden“

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