Finden statt Erfinden

26. Mai 2023 - Ralf Hildebrandt

Liebe Leserinnen, werte Leser,

die meisten jungen Unternehmen (Start-ups) organisieren sich zu Beginn auf Zuruf:

„Hey – Tom – wir müssen noch das Angebot für die Hampelmann KG fertig machen. Sollen wir uns ´mal bei einer Latte zusammensetzen und das diskutieren?“ „Hey – Bea! Logo. Können uns gleich zusammensetzen, ich mach das hier nur noch schnell fertig.“

Alles ist mehr oder weniger neu, vieles muss erst einmal erfunden werden. Jeder kann miterleben, dass man (beinahe) mit allem Unerwartetem fertig wird und es kaum etwas gibt, was man nicht lösen kann. Das schweißt zusammen, Teamgeist ist der Kern des Unternehmens, jeder in der Umgebung spürt das starke „Firmen-Wir“ (auch Externe).  Und weil fast jedes (Kunden-)Problem gelöst werden kann, handelt sich das Unternehmen Wachstum ein. Es wandelt sich vom Start-up zum Post-Start-up. Jetzt ist nicht mehr alles neu, im Gegenteil, vieles wiederholt sich. Es gibt Probleme, deren Lösung kaum noch Teamgeist benötigt, sie könnten eigentlich größtenteils nach „Schema F“ abgearbeitet werden – eigentlich.   

Oft ist aber das Gegenteil der Fall, weil der „alte“ Teamgeist schneller zur Stelle ist, als der Verstand. Gefühle entstehen sofort, und das Gefühl, welches zur Lösung jedweder Probleme von der Firmenkultur ungefragt angeliefert wird, heißt „lass uns mal zusammensitzen“. Mit Zusammensitzen ist man erfolgreich geworden, das hatte sich bewährt. Unbemerkt gibt man seinem Bedürfnis nach, setzt sich zusammen und löst die Probleme, für die es bereits Lösungen gibt, noch einmal neu:

Teamgeist verkehrt sich bei der Lösung bekannter Probleme (für die es bereits Lösungen gibt) vom Vorteil zum Nachteil. 

Jetzt läge es im Interesse aller, wenn zum starken Wir-Gefühl auch etwas Einsicht in wirtschaftliche Notwendigkeiten hinzukommen könnte. Denn das Bedürfnis nach Nestwärme ist zwar verständlich und historisch bedingt naheliegend, aber:

Die Gewohnheit, alles per Nestwärme regeln zu wollen, ist mit zunehmender Unternehmensgröße keine optimale Organisationsform (mehr).

Was sich so gut und richtig anfühlt, kann dann zur Gefahr werden. Weil Teamgeist (oder Kollegialität) auch dort zum Einsatz kommen, wo sie gar nicht gebraucht werden, beide aber trotzdem vom Unternehmen bezahlt werden müssen, sägt die Wertschöpfung am Ast, auf dem sie sitzt. Das ständige Neuerfinden von Rädern senkt unnötigerweise die Arbeitsproduktivität und schmälert damit den Gewinn. Obendrein wird wertvolle Kreativität verschwendet, die anderswo gut gebraucht werden könnte. Und wo Gewinne schwinden und Wertvolles verschwendet wird, fällt Kollegialität irgendwann immer schwerer, bis man sie sich irgendwann gar nicht mehr leisten will, weil jeder nur noch für sich (ums Überleben) kämpft.  

Deshalb ist es vorsorglich immer einmal wieder angebracht, das eigene Unternehmen (den eigenen Arbeitsbereich) daraufhin abzusuchen, was formalisiert oder gar automatisiert werden könnte, um dann mit stolz geschwellter Brust  bekannt zu geben: „Schaut mal her, das da machen wir jetzt immer gleich“. Denn überall dort wo das gelingt, sinkt der Aufwand um Größenordnungen, was Spielraum fürs Zusammensitzen schafft.

Die Gründerin eines erfolgreichen Start-ups meinte kürzlich, vielleicht müsse sie in Zukunft auch das Finden fördern. Und nicht nur das Erfinden. 

Gute Idee.

Bis übernächste Woche!

 

 

 

 

 

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