Die GL-Galeere… zuuu-gleich!

27. Juli 2017 - Ralf Hildebrandt

Werte Leserinnen und Leser. 

Es gibt Unternehmen, die ziehen das alljährliche Ritual der strategischen Planung (sie wissen, was gemeint ist) in den Sommer vor. Man beschäftigt sich also recht(-)zeitig damit, was man den Mitarbeitern als Stoßrichtung für das nächste Jahr bekanntgeben könnte. Das soll Ihnen nun kein schlechtes Gewissen machen, wenn Sie erst später im Jahr von einem ähnlichen Ritual gepflegt werden. Es ist nur der Beginn für unsere heutige Geschichte.

In der geht es also wieder einmal um die Zukunft. Und diesmal geht es darum, welche Folgen es haben kann, wenn das Management von sich verlangt (verlangen muss?), sie zu kennen. 

Besonders wichtig beim Kennen der Zukunft ist, dass man sich auf EINE Version einigt. Das kann etwas dauern. Was soll die Belegschaft von der GL (Geschäftsleitung) sonst halten, wenn man nicht einheitlich auftritt? Also zieht man an einem Strang. Zu-gleich! Für maximale Schlagkraft in unsicherem Gewässer. Leuchtet ein. 

Ja. Und? Oder? Was soll daran nun so bemerkenswert sein, dass es einen Blogbeitrag rechtfertigt? 

Das ist der leise Kommentar eines GL-Mitglieds (einer Mitgliederin), dass man sich im tiefen Herzen (!) aber doch eigentlich uneins ist. Und das auch noch voneinander weiß. Und auch, dass das so mit „authentischer“ Führung nichts werden kann; „wenn wir uns in der GL schon keine Einigkeit vorspielen können, dann bekommt die Belegschaft das doch schon mit, bevor wir die erste Folie ziehen…“

Da hat sie recht. Heute bedeutet eine einheitliche Vorstellung der Zukunft oft, dass man etwas behaupten muss, was man noch nicht wissen kann. Das ist immer lähmend für die Führung eines Unternehmens, wenn man nicht sagen darf, was einem durch den Kopf geht. Sondern als Schauspieler unterwegs sein muss. Schade um die Qualität, die man dabei ohne Not verliert. Denn man kann nicht, bevor die Zukunft eintritt von sich verlangen, eine einheitliche Meinung zu erzeugen. Das ist Verschwendung. Die einheitliche Meinung, die man erzeugt, blendet sehr viel Wichtiges aus. Wesentliche Argumente gehen verloren. Und alles nur, um einem Dogma zu genügen: „eine GL – eine Meinung“. 

Aber was dann – darf jeder dann ´mal ans Ruder? 

Zunächst einmal ist es eine bemerkenswerte Leistung der Managerin, die Wahrheit im Kreise der GL-Kollegen zur Verfügung zu stellen. Und das Ritual als solches zu entlarven. Rituale zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass man sie nicht bemerkt. Dadurch stabilisiert sich ein soziales System. Und das wirft man nicht so einfach aus der Bahn. Das hätte auch schiefgehen können. Ist es aber nicht. 

Klammheimlich hat man auch schon in den letzten Jahren gewusst, dass es mit der Einigkeit nicht so weit her war. Man ließ Zeit verstreichen und jeder hat dann sein Süppchen gekocht. Aber nun liegt die Leiche ja auf dem Tisch. Wie geht man damit um, dass jeder etwas anderes im Kopf (im Gefühl) hat, wenn es um die nächsten Jahre geht? Und man doch EINEN Plan präsentieren möchte? Muss?

Vielleicht hilft es, ein paar Dinge auseinanderzuhalten (zu unterscheiden).  Glücklicherweise hält es moderne Strategieentwicklung locker aus, wenn es verschiedene Vorstellungen über die Zukunft des eigenen Unternehmens gibt. Man muss also nicht entscheiden, wer „Recht“ hat. Welche Meinung zählt. Man kann sich stattdessen darauf konzentrieren, die verschiedenen Standpunkte so zu durchdenken, dass sie gute Qualität haben. Also nicht nur auf ein Flipchart skizziert werden, sondern durch Argumente (s. das Kleingedruckte unten) gestützt sind. Normierung entfällt, Vielfalt bleibt erhalten.

Die GL-Sitzung zum Thema Zukunft könnte man deshalb so angehen: 

  1. Man nennt die Vorstellung der Zukunft zunächst „Zukunftsbild“. Um sie von Plänen, einer Strategie usw. zu unterscheiden. Beim Zukunftsbild gibt es einen bekannten Teil (50%-80% des Geschäfts?) und selbstverständlich einen unbekannten Teil (20-50%, je nach Branche).
  2. Man beschließt gemeinsam, dass man sich nicht dafür schämt, einen Teil der Zukunft nicht zu kennen (darauf einen Schnaps!).
  3. Für den bekannten Teil (Bestandsgeschäft?) wird der Belegschaft ein Plan präsentiert – gerne auch mit Zielen! Den bereitet man so vor, wie es eben Sitte ist.
  4. Dass es auch einen unbekannten Teil gibt, muss man erst einmal transportieren können. Damit es keine Schnappatmung gibt. Etwa so: Unbekanntes gab es schon immer – früher waren es eben nur 5% – damit kam man ja auch klar. Hm. Stimmt. Also können wir das. Hm. Stimmt auch. Gut. Sie verkünden (vorher akzeptieren Sie das auch für sich selbst) desweiteren fröhlich, dass der unbekannte Teil weiter zunehmen wird (an Weihnachten freuen Sie sich schließlich auch über Überraschungen).
  5. Sie entdecken an sich, dass Sie (als Mitglied der GL) zwar ein starkes Gefühl dafür haben, was die Zukunft bringen wird. Sie akzeptieren aber, dass Ihr Gefühl aber kein Argument ist. Egal wie „überzeugt“ Sie davon sind (das ist schwer). Sie kommen nicht (mehr) auf die Idee, sich für den unbekannten Teil um die Wahrheit zu streiten. Sondern arbeiten in der GL die verschiedenen Standpunkte aus (mehr können Sie ohnehin nicht tun, als sich das zur Verfügung zu stellen).
  6. Die verschiedenen Standpunkte nennen Sie vor der Belegschaft „Optionen“ (genial!) – das sind keine Ziele. Das müssen Sie mehrfach wiederholen. Sie laden dann ein, auf dieser Basis über die Zukunft nachzudenken.
  7. Sie werfen kein Argument weg, bevor sich nicht gezeigt hat, dass es falsch ist. Besonders nicht im Frühstadium einer Option.
  8. Für den unbekannten Teil Ihres Zukunftsbildes geben Sie bekannt, dass experimentelles Handeln das planende Denken ersetzt. Es kommt darauf an, schnell herauszufinden, was funktioniert – extern referenziert (am Markt).
  9. Da ein Plan beim Experimentieren in Richtung Zukunft nichts hilft, Sie aber Chaos vermeiden wollen, verweisen Sie auf die Alternative zum Plan: den gemeinsamen Handlungshintergrund (den man schon immer genutzt hat – s.o., die 5% – allerdings heimlich).
  10. Bonus: wenn Sie noch eine Schippe drauflegen wollen, nennen Sie diesen Handlungsraum „strategischen Handlungsraum“ und erhellen so den Horizont für ein freudvolles Schaffen außerhalb des Plans – mitten im prallen Leben.

Zeit zu Üben bleibt für alle Beteiligten reichlich. Auf den ersten Schuss kommt es nicht an. Denn ein solchermaßen verstandener Strategieentwicklungsprozess läuft permanent. Die Welt steht schließlich nicht still. Zeit genug sollte vorhanden sein – schon alleine, weil das stete Korrigieren der Pläne (Forecasting) für den ohnehin nicht vorherzusagenden Teil entfällt.

Lieber vertreibt man sich seine Zeit damit, ständig zu überprüfen, ob man inzwischen klüger geworden ist. Und wenn man tatsächlich klüger als gestern geworden ist, kann man sich ja fragen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Etwa, welche Optionen wegfallen und welche Neuen hinzugekommen sind. Bleibt nur noch die Frage, was den Handlungsraum in Ihrem Unternehmen begrenzt. 

Bis übernächste Woche!

PS: Sie fragen sich gerade (auch), was ein Argument (1) und was eine Meinung (2) ist? 
(1) Eine Aussage, die nach logischen Kriterien bewertet, richtig oder falsch sein kann. Bewertung und Ergebnis ist Sache eines Beobachters. Also relativ. 
(2) Eine Aussage, der widersprochen wird. Eine Aussage, der nicht widersprochen wird, ist Wissen.

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