Empowerment! Was Selbstbestimmung mit Ihrem Banker zu tun hat.

20. Mai 2015 - Ralf Hildebrandt

Viele meinen, dass das Problem moderner Unternehmen darin besteht, dass die Mitarbeiter zu wenig zu sagen haben. Man muss die Menschen „empowern“. Zu deutsch: ermächtigen. Oft wird das parallel zu den dafür eingeführten Aktivitäten auch als Wert verankert, z.B. als „selbstverantwortliches Handeln“. Oder „unternehmerisches Handeln“. Die Mitarbeiter werden dann professionell dabei unterstützt, ihr Gefühl der Ohnmacht zu überwinden und können fortan selbstbestimmt handeln. 

Spätestens jetzt erhebt der organisationsentwickelnde Systemtheoretiker Einspruch. Er hält es nicht mehr aus.

Im Gespräch mit einem Interessenten half hier der Hinweis, zwischen Selbstbestimmung und Selbstorganisation zu unterscheiden. Selbstbestimmung ist ein moralischer Begriff. Er geht von der Menschenwürde aus. Eine Errungenschaft der französischen Revolution. Und die Grundlage der Demokratie. Jeder hat eine Stimme. Die Menschen organisieren sich selbst. Selbstbestimmt. So funktioniert ein politisches System.

Richtig schwierig wird es, wenn Selbstbestimmung aus der Politik in ein völlig anderes System schwappt; dem der Wirtschaft. Das Kriterium, ob man hier mitspielen darf, ist konkurrenzfähiger Gewinn. Zumindest auf die Dauer. Das ist ein völlig unmoralisches Kriterium. Beispiele, dass man ohne Moral prima Geld verdienen kann gibt es zuhauf: Schlepper, Bestechung, die Mafia.

In diesem Sinne ist Wirtschaft eine brutale Umgebung. Eine von Moral geprägte Sprech- und Denkweise führt hier in die Irre. Wirtschaft lässt sich von Humanistischem, Menschenwürdigem nicht beeindrucken. Wirtschaft ist „moralisch dicht“. Niemand kann sich im Ernst darüber beklagen, dass es doch so gemein vom Konkurrenten sei, mehr in der Kasse zu haben als man selbst.

Verdient ein Unternehmen Geld, ist alles eitel Sonnenschein. Keine Aggressivität. So herum funktioniert das. Umgekehrt allerdings nicht – wir empowern euch ´mal, dann verdienen wir auch wieder Geld. Die Kausalität kann man nicht auf den Kopf stellen. 

Wenn man sein Unternehmen verstehen will, benötigt man den Begriff der Selbstorganisation. Oft wird das synonym mit Selbstbestimmung verwandt. Und dann sieht man die eigentlichen Probleme nicht mehr. Selbstorganisation hat nichts mit Menschen zu tun. Sie ist immer die Eigenschaft eines Systems. Eines Gebildes, welches nicht aus Menschen (sondern Kommunikation) besteht. Ein Beispiel dafür ist eine Kerzenflamme. 

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Eine Kerzenflamme ist eine Form einer Organisation heißer Gase und solange die Bedingungen für diese Art von Organisation bestehen, brennt die Kerze. Selbstorganisation ist reaktionsfähig. Solange die Störung nicht zu groß wird, reagiert die Organisation so, dass sie bestehen bleibt.

Das gilt auch für Unternehmen. Auch das sind (Sozial)-Systeme. Man kann das eigene Unternehmen beobachten. Was ist hier möglich? Was kann ich machen? Und wann ist es zuviel des Guten.
Was man in einem Unternehmen anstellen oder ihm zumuten kann, bestimmt das System. Nicht man selbst oder der Manager darüber. Jedes Unternehmen hält im Falle eines Problems ein Angebot an Verhaltensmöglichkeiten bereit, wie man damit umgehen kann. Manches wird unterstützt, manches geduldet, manches erfährt Widerstand. Jeder Mitarbeiter weiß schon nach ein paar Wochen sehr genau, was geht und was man besser lässt. Ohne dass das jemand aufgeschrieben hätte. Die Organisation hat keinen Autor. Das sind die Gegebenheiten, die man vorfindet. Unternehmen unterscheiden sich (auch) im Grad ihrer Selbstorganisation. 

Selbstorganisation schließt Menschen also aus – Selbstbestimmung schließt Menschen und ihre Interessen ein. Letzteres hilft überhaupt nicht dabei, ein Unternehmen dynamikrobust zu gestalten. 

Was das nun mit Ihrem Banker zu tun hat? Der freundlichen Dame? Solange Sie artig Ihre Raten bezahlen, ist man sehr freundlich im Umgang. Aber versuchen Sie doch einmal mit Hilfe von Freundlichkeit drei Raten auszusetzen. Im Alltag erkennt man fix, worauf es in der Wirtschaft ankommt. 
Heißt das jetzt, dass Sie Ihre Kunden wie Dreck behandeln können? Warum noch freundlich sein? Nicht ganz. Es sei denn, alle ihre Konkurrenten machen es auch so. Dem System der Wirtschaft wäre das egal. Wie Sie sich dabei fühlen, ist eine andere Frage. Vielleicht besser nicht.

Hier im Original als Zündfunke: 

Und als Transkript:

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Selbstbestimmung ist ja ein moralischer Begriff. Der geht aus von der Menschenwürde. Jeder Mensch, das ist der Kontrast zum Mittelalter, wo man Geschichte der Gesellschaft hatte, oben den Fürsten und den König und unten die Leibeigenen oder die Sklaven, da war es selbstverständlich, dass Menschen verschieden sind. Sie werden verschieden in die Welt geboren. Die Französische Revolution kommt dann auf die Idee: alle Menschen sind gleich. Und daraus entsteht dann die Idee der Demokratie: jeder hat eine Stimme, egal, ob er klug ist oder blöd, reich oder arm, gesund oder krank, egal. Jeder Mensch hat seinen eigenen Wert und das drückt sich dadurch aus, dass jeder bei einer Frage, bei einer Entscheidung -machen wir das so oder so? – das gleiche Gewicht hat.

Das, was dabei herauskommt, ist Demokratie. Ein Zentralbegriff von Selbstbestimmung. Die Menschen entscheiden selber, wie sie sich organisieren und sie treffen eigenständig Entscheidungen. Das ist ein Gegensatz zu früher, früher hat der Fürst entschieden, dazu war er da. Oder in einem zentralistischen Unternehmen entscheidet der Chef und die anderen machen, was der Chef sagt. Wenn man das ändert, wenn man sagt: jeder hat eine Stimme, ist das demokratisch eine Emanzipation, ein gesellschaftlicher Fortschritt, denn das eine ist Mittelalter, oder Militär und das andere ist Demokratie.

Viele meinen, dass das Problem moderner Unternehmen darin besteht, dass die Mitarbeiter zu wenig zu sagen haben. Der Chef entscheidet und die Mitarbeiter müssen machen, und das ist ungerecht. Denn die Mitarbeiter sind ja auch Menschen und sie sind ja auch nicht doof. Also wäre es doch viel sinnvoller, wir lassen nicht einen entscheiden, sondern viele. Das ist doch gerechter. Und dagegen kann man nichts sagen. Das Argument dagegen für Unternehmen ist, dass sich Unternehmen in einer, in dieser Denk- und Sprechweise, in einer brutalen Umgebung befinden. In einer Umgebung, da macht man entweder einen konkurrenzfähigen Gewinn oder man darf nicht mehr mitspielen.

Die Frage, wie man das macht, ob man freundlich miteinander ist, wenn man das tut, oder ob der Chef sagt, noch ein Fehler und du fliegst raus, ist Wurst. Wenn ich konkurrenzfähigen Gewinn mache, darf ich mitspielen, wenn nicht, dann nicht. Und in dieser butalen Umgebung, mit der man nicht argumentieren kan, die Umgebung nennt man Wirtschaft. Diese brutale Umgebung Wirtschaft kann ich mit Humanistischen, mit Menschenwürdigen, mit gesellschaftlich Fortschrittlichen nicht beeindrucken. Wenn ein Unternehmen in die Lage kommt, Gewinn zu machen, dann richten sich die Menschen, weil das dann möglich und erlaubt ist, gemütlich ein. Nur umgekehrt: ich kann diese Kausalität nicht umdrehen. Ich kann nicht sagen: lasst uns freundlich miteinander umgehen, dann wird der Gewinn schon kommen. So rum geht es nicht – andersrum geht es sehr wohl! Wenn ein Unternehmen stark ist mit seinen Konkurrenten, seinen Kunden und so weiter und hohen Gewinn macht, dann kann es das für alles, was ihm Spaß macht, ausgeben, auch für Betriebsfeste und Ausflüge oder Weiterbildung oder weiß der Kuckuck was. Die Wirtschaft mischt sich nicht ein. Der Wirtschaft ist das Wurst. Wenn das Ding Gewinn macht, kann es mit dem Gewinn tun und lassen, was es will. Da dreht sich der Spieß um. Da kann sich die Wirtschaft auch nicht negativ einmischen. Sie kann nicht sagen, ihr dürft nicht daran denken, gute Laune zu haben – ihr müsst an den Gewinn denken, das ist ähnlich wie in der Bank. Wenn ich einen Kredit aufnehme und bediene die Bank mit Kapital, ist die Bank freundlich. Sie kann sich nicht darin einmischen, was ich mache und tue und lasse. Nur wenn ich mein Kapital nicht leisten kann, da wird die Bank brutal und dann geht sie ohne Hemmungen, ohne Mitleid mit meinem Haus um und versteigert das.

Diese Brutalität der Wirtschaft ist ja nur dann zu spüren, wenn das Unternehmen keinen Gewinn macht. Wenn das Unternehmen Gewinn macht, ist die Umgebung eines Unternehmens eitel Sonnenschein. Da ist keine Aggressivität, keine Zwänge, kein nichts. Romantik ist, wenn ich diese Kausalität umdrehe.

Also, Selbstbestimmung ist ein politischer, moralischer Begriff, der gesellschaftlichen Fortschritt einfängt, der also Menschen mit ihren Interessen integriert. Selbstorganisation hat mit Menschen nichts zu tun, sondern Selbstorganisation ist immer die Eigenschaft eines Systems. Und Systeme, wenn wir uns darüber einig sind, bestehen nicht aus Menschen. Das heißt Selbstorganisation ist eine Eigenschaft eines Gebildes, was nicht aus Menschen besteht. Beispiel, was ich dann gerne bringe, das kann man sich gut merken, ist die Kerzenflamme. Das ist eine Form von Organisation heißer Gase und solange die Bedingungen für diese Art von Organisation bestehen, brennt die Kerze, wenn die Bedingungen nicht mehr gegeben sind, geht sie aus.

Selbstorganisation ist reaktionsfähig, sie kann mit Störungen umgehen, also ich kann eine Kerze leicht anblasen, dann weicht sie aus, ich darf nicht zu stark blasen, dann geht sie aus. Und Selbstorganisationen sind solche Eigenschaften von Systemen, die Menschen dadurch beobachten können, dass sie ihr eigenes Sozialsystem beobachten, zum Beispiel ihre eigene Firma, ihr eigenes Unternehmen. Beobachten heißt; was ist hier möglich, was kann ich hier machen und was kann ich nicht machen. Das bestimmt das System, also die Selbstorganisation des Systems bestimmt darüber, was ich mit dem System anstellen kann, für was das gut ist, was man ihm zumuten kann und was nicht. Ich habe ein Problem und dann hab ich in jeder Firma, in jedem Sozialsystem, ein gewisses Angebot von Verhaltensmöglichkeiten, die sind zugelassen, die werden sogar unterstützt, dann gibts welche, die sind geduldet, und dann gibt es welche andere, wenn ich mich dann so und so verhalte, muss ich mit Widerstand rechnen.

Alles das ist von keinem Menschen irgendwo gemacht, das sind keine Entscheidungen des Managements, sondern das sind einfach Gegebenheiten, die ein Mitarbeiter in einem Unternehmen vorfindet. Wenn er das Unternehmen wechselt, wer das schon mal gemacht hat, weiß, wenn ich das Unternehmen wechsele, muss ich neu mich einrichten, da sind die Angebote anders, sie sind nicht völlig auf dem Kopf, aber sie unterscheiden sich. Und der Unterschied zwischen Unternehmen, das ist der Unterschied in der Selbstorganisation. Also Selbstorganisation schließt Menschen aus, Selbstbestimmung versucht zumindest, Menschen einzuschließen und ihre Interessen, dewegen sind das zwei sehr gegensätzliche Begriffe.

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Bis nächste Woche!

 

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