Geküsst, endlich!

20. Mai 2016 - Ralf Hildebrandt

Heimlich hat sich in den letzten 4 Wochen ein kleiner Dreiteiler entwickelt. Wir haben über die Krise geschrieben. Und auch über deren kleine Schwester – die (konstruktive) Irritation.

Es gibt noch einen dritten Teil. Darum geht es heute.

Wir führen dazu wieder eine Unterscheidung ein. Diesmal ist es die Unterscheidung Muße/Krise (jetzt sind Sie hoffentlich nicht enttäuscht, weil Sie unter dem Titel anderes erwartet haben).

Wir hatten ja jüngst beschrieben, dass Ideen durch Krisen, gewissermaßen also durch eine Not des Verstandes erzeugt werden. Wenn der Verstand in Not ist, springt ihm „der Körper“ bei. Oder das Bauchgefühl – wie auch immer Sie das für sich genannt haben mögen.

Ok – nun ist also eine Idee da. Die muss ja irgendwie bewertet werden. Ist sie gut? Schlecht? Was machen wir denn damit? Hm. Pause. 

Das ist der Moment der Muße. Und das ist die Begründung für Sie selbst, wenn Sie Schwierigkeiten haben, sich selbst „Nichtstun“ zu erlauben. Erinnerung: ein fleißiger Manager ist keiner!

Im letzten Beitrag haben wir von der Einheit der Unterscheidung Verstand/Gefühl berichtet. Diese Einheit nennen wir Person. Ähnlich ist es nun mit der Ideenproduktion: sie ist die Einheit der Unterscheidung von Muße und Krise. 

bunch of chocolate kisses
Das sind Schokoladen-Küsse!

Kein System kann auf Dauerkrise schalten und dadurch eine Idee nach der anderen produzieren. Ganz abgesehen davon, dass man verkrampfen und sehr müde würde. Es würde die Auswertung, nämlich die Veredelung der Rohidee, die erst durch die Krise entstanden ist, fehlen. Schließlich ist der Verstand viel langsamer als das Gefühl.

Ein Beispiel aus der Praxis. Nehmen wir an, Sie arbeiten mit einem Systemtheoretiker zusammen. Und finden sich (als externer Berater!) in einer Projektsitzung wieder, die gerade voll gegen die Wand fährt. Was tun Sie als freundlicher Mensch? Sie versuchen, die Situation zu entschärfen. Ergreifen Stift und Flipchart, um das betretene Schweigen (womöglich noch inkl. Selektion von Schuldigen) mit Ihren Geräuschen erträglich zu machen. Und was macht der Systemtheoretiker? Er hält das aus und weiß, dass das Team nun die Erfahrung machen wird, dass es nach einer Mußestunde zu Hause am nächsten Tag weitergehen wird. Wahrscheinlich mit einer frischen Idee. Der moderne Berater macht also gerade jetzt nichts – und hilft damit am meisten. Wie Sie das in ein Angebot schreiben, ist Ihre Sache (falls Sie Berater sind). 

Man tut also gut daran, sich öfter zu erinnern, dass der Verstand eine Umgebung, einen Raum, benötigt, in dem er nicht unter Druck ist. Dieser Raum ist die Muße. Da kann er in Ruhe vor sich hin wurschteln. Bei manchen geschieht das im Schlaf. Manche nehmen dazu die Morgenstunden. Irgendeine Zeit, in welcher er durch nichts bedrängt wird. Jeder hat da seinen Stil. Kennen Sie Ihren? Der eine setzt sich in den Garten, die nächste geht unter die Dusche, fährt Fahrrad oder macht sonst etwas. Das kommt darauf an.

Es geht dabei immer darum, wie man eine Situation schaffen kann, in welcher sich der Verstand nicht bedrängt fühlt. Wo er in Ruhe mit dem Neuen, was er vorher durch die Krise geliefert bekommen hat, umgehen kann. Er muss ja die Idee – dieses Neue – einordnen in das, was schon da ist. Spüren Sie, welchen konstruktiven Klang das Wort Krise auf einmal bekommt? 

Eine neue Idee, die keine Verbindung zu den Ideen hat, die man schon hat, ist wie ein Findling (schön, nicht?). Mit der kann ich zunächst einmal nicht viel anfangen. Ich muss sie ja prüfen. Passt diese neue Idee zu den fünf alten, die schon da sind? Oder gibt es Widersprüche? Ihr Verstand ordnet es logisch in das ein, was Sie schon wissen. Das können Sie nicht mit Ihrem Gefühl machen wollen. Da braucht der Verstand seine Ruhe. Da kann ich ihn nicht treiben wollen und sagen: Jetzt beeil dich mal! Du!

Bis nächste Woche!

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Bildnachweis: istockphoto bakerjim 57124048

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