Overflow

11. Juli 2019 - Ralf Hildebrandt

Haben Sie noch einen alten Taschenrechner, werte Leserinnen und Leser? 

Wenn man den Chip des kleinen Rechenknechts mit großen Zahlen gefüttert hatte und das Ergebnis nicht mehr ins Display passte, hat er die Waffen gestreckt und gar nichts mehr angezeigt: Overflow

Wenn Sie mit jemandem reden, läuft Ihr Bewusstsein mit hoher Geschwindigkeit nebenher und denkt alles Mögliche (was denkt es gerade?). Es denkt auch, was man im Moment nicht sagen kann (weil es nicht zum Gespräch passt). Oder nicht sagen darf (weil es sich nicht gehört). Und wenn man es trotzdem versuchen würde, würde die Kommunikation kollabieren. Overflow.

Von sich selbst zu erzählen, man wäre offen und sage immer die Wahrheit, ist schon alleine deshalb nicht möglich, weil das Bewusstsein ungefähr 100 mal schneller Inhalte erzeugt, als man überhaupt reden kann. Damit ist nicht gemeint, man betrüge seine Mitmenschen, sobald man den Mund aufmacht. Das heißt nur, dass menschliche Kommunikation sehr darauf angewiesen ist, dass man sich gegenseitig nicht alles auf die Nase bindet, was einem gerade durch den Kopf geht. Man lässt das allermeiste davon weg.

Man könnte also sagen (Vorsicht jetzt), Menschen können nur miteinander reden, wenn sie sich nicht die ganze Wahrheit sagen. Noch einen Zahn schärfer: Man könnte sogar sagen (wenn das nun hoffentlich keine moralischen Konflikte in Ihnen erzeugt), Menschen müssen sich belügen.

Lüge ist eine Voraussetzung für Kommunikation.

Wenn Sie nun noch da sind und diesen Beitrag nicht mit Verachtung gestraft oder eben den Newsletter gekündigt* haben, gibt es noch ein Friedensangebot.  

Wenn man das weiß und von sich auch so akzeptiert (dass man gar nicht „wahrhaftig“ sein kann), kann man das auch für andere akzeptieren. Das duftet nun nicht nur nach einem versöhnlichen „verstehe deinen nächsten, wie du selbst verstanden werden willst“. Das führt vor allem zu professionellem Umgang mit Kommunikation. Und vermeidet beispielsweise die besonders anstrengende Forderung nach einem „offenen“ Gespräch. Die ist kindisch, denn niemand kann sie erfüllen (und man weiß es schon, bevor man sich in eines begibt).

Vielmehr könnte man sich darum bemühen, eine Situation zu schaffen, damit eine konstruktive Kommunikation möglich ist (was gelingen wird, wenn man die o.g. Voraussetzung tatsächlich akzeptieren konnte). Dann hält man die nächste Provokation auch ein weiteres Mal gelassen aus (viele sind ja ohnehin im Urlaub oder auf dem Weg dorthin):

Kommunikation ohne Lüge ist nicht möglich.

Bis übernächste Woche!

* schaun mer mal

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