Risiko
13. Juli 2017 - Ralf Hildebrandt
Risiko! Da fährt es manchem kalt den Rücken hinunter, werte Leserinnen und Leser.
Gibt es da nicht auch eine klitzekleine Baustelle in Ihrer Umgebung? Hätten Sie nicht das eine oder andere etwas besser im Griff haben können? Etwas mehr Risk-Awareness? Die Wahrscheinlichkeiten etwas besser abwägen, um dann eine solide Entscheidung zu treffen? Kann wohl kaum schaden. Oder fragen Sie sich gerade, warum Sie in der Richtung noch gar nichts unternommen haben? Die VUCA-Welt steckt schließlich voller Überraschungen – welches Argument haben Sie für Ihr Nichtstun?
Wäre eine – vielleicht etwas modernere Form – von Enterprise-Risk-Management vielleicht ein Ansatz, der sich im Umgang mit Komplexität empfiehlt?
Um diese Frage dreht es sich im Beitrag heute. Vielleicht lässt sich da etwas aussortieren, um Ihnen im Falle eines Falles eine Havarie zu ersparen. Ganz ohne Risiko.
Gehen wir es wie üblich an und definieren zunächst den Risiko-Begriff auf Basis einer Unterscheidung. Im Alltag üblich ist die Unterscheidung Risiko / Sicherheit. Risiko entsteht, wenn man eine Entscheidung trifft. Man wählt aus verschiedenen Optionen aus. Auch wenn einem die oft selbst nicht so ganz klar sind.
Mit einer Entscheidung ist also immer ein Risiko verbunden. Allerdings unterliegt man gerne der Illusion, dass man dieses Risiko vermeiden könnte. Etwa durch ordentliche Planung. Oder durch Ansammeln von Wissen (bzw. Daten). Wenn das Risiko dann minimiert ist, hat man die Welt wieder ein Stück sicherer gemacht; Risiko / Sicherheit.
Eine völlig andere Unterscheidung ist die von Risiko / Gefahr. Risiko ist dabei das negative Ereignis, welches sich auf eine Entscheidung zurückrechnen lässt. Oder anders herum: wenn ein negatives Ereignis eintritt und der Grund dafür eine Entscheidung war, spricht man von Risiko. Von Gefahr spricht man immer dann, wenn der Grund für das negative Ereignis außerhalb des Zugriffhorizontes (eines Systems) ist. Ein Vulkanausbruch ist kein Risiko, sondern eine Gefahr. Wenn ein Vulkan ausbricht (ein Produktionswerk abbrennt), kann man sich das nicht zurechnen. Ein Vulkan bricht nicht aus, weil irgendjemand etwas getan hat. Er bricht aus Gründen aus, die nicht zugänglich sind: Gefahren. Diese nützliche Unterscheidung wird in der Praxis verdeckt. Wer redet schon gerne von Gefahren im eigenen Unternehmen. Das sind auch nur Risiken.
Setzt man ein Projekt auf, geht man ein Risiko ein. Das Risiko, dass aus dem Projekt nichts wird. Weil sich im Projektverlauf herausstellt, dass es ein Denkfehler war. Etwas vergessen wurde. Etwas Überraschendes eintrat. Dieses Risiko, welches sich auf eine Entscheidung zurückführen lässt, ist nicht zu vermeiden. Selbst wenn man aus Angst vor Risiko nicht entscheidet, geht man ein Risiko ein. Denn nicht zu Entscheiden ist auch eine Entscheidung. Und auch die birgt ein Risiko. Jede Entscheidung birgt ein Risiko. In dynamischer Umgebung, versteht sich. Risikomanagement, welches darauf basiert, Risiko von Sicherheit zu unterscheiden (und nicht von Gefahr), ist eine Illusion.
Man kann sich dem Thema auch so nähern: was man wissen kann, muss man nicht entscheiden. Dann genügt es, auszuwählen. Tatsächlich nennt das niemand so, es wird ja immer nur entschieden. Sie sind ja auch lieber Entscheider als Auswähler (das war jetzt ´was für die Kantine). Könnte man ein Projekt nur auf Basis von Wissen durchführen, gäbe es auch kein Risiko. Dann wäre es aber auch kein Projekt…
Immer dann, wenn ich nicht alles weiß, was ich wissen könnte oder wissen müsste, muss ich entscheiden. Zeitmangel spielt dabei eine große Rolle. Entscheiden ist die Auswahl aus Optionen auf Basis von Nicht-Wissen. Deshalb beinhaltet eine Entscheidung – weil sie eine ist – ein Risiko. Ein unvermeidliches Risiko. Denn wenn man auf Basis von Wissen auswählen kann, muss ja nicht entschieden werden.
Geht ein Projekt schief, kann man natürlich auch vermuten, dass man zu dumm dafür war. Ein bisschen zu doof. Man hatte nicht genug Wissen versammelt, von Tuten und Blasen keine Ahnung und trotzdem ein Projekt gestartet. Das geht natürlich schief. Hätte man wissen können, dass man die Bauerei mit dem Keller anfängt und nicht mit dem Dach. Das ist dann Dummheit und kein Risiko.
Auch Innovation ist immer Entscheidung auf Basis von Nicht-Wissen. Es wird etwas ausprobiert, von dem man hofft, dass es funktionieren könnte. Man weiß es aber nicht. Wenn man es schon wüsste, wäre es keine Innovation mehr. Denn es wäre bekannt. Oder anders herum: wenn man keine Ahnung hat (auch aus zeitlichen Gründen), muss man entscheiden. Wenn ich auf Basis von Wissen auswähle, gehe ich kein Risiko ein. Wenn es sich dabei tatsächlich um Wissen handelt. Wenn ich mich täusche und ich denke es ist Wissen und es stellt sich dann heraus, dass es kein Wissen war, dann ist es ein Irrtum.
Versucht man durch Risikomanagement Entscheidungen sicherer zu machen, erreicht man genau das Gegenteil von dem, was man erreichen will. Man meint durch Erhöhung des Wissensanteiles Überraschungen gänzlich vermeiden zu können. Solange es an Wissen mangelt, ist daran auch nichts auszusetzen. Das mindert das Risiko – aber irgendwann ist mit der Sammelei Schluss und dann wird entschieden. Mit den negativen Konsequenzen lebt man dann eben. Was soll man auch sonst tun.
In vielen Unternehmen sind Risiken noch immer ein Tabu. Vielleicht weil der Umgang mit Überraschungen (= der Umgang mit Nichtwissen) eigentlich unanständig ist. Es ist ein Zeichen für Schwäche. Irgendetwas nicht zu wissen, gehört sich nicht. Obwohl der Teil, den man nicht mehr vorhersagen kann (wissen kann) ständig wächst.
Daran müsste sich – ganz entschieden – einmal etwas ändern.
Bis übernächste Woche!
(vielen Dank, dass Sie diese konstruktive Irritation aushalten konnten – falls Sie bis hierhin bei der Stange geblieben sind)
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