Selbstbeschreibung – Hilfsmittel bei ausgerasteter Steuerung
8. Januar 2016 - Ralf Hildebrandt
Hinter eingefressenen Konflikten stecken oft über Jahre hinweg entzündete Schnittstellen. Der Austausch von Leistungen funktioniert nicht mehr so reibungslos wie es einmal der Fall war, als man noch alles (zentral) regeln konnte.
Unserer Erfahrung nach ist man sich in der täglichen Arbeit gar nicht darüber bewusst, was da so ausgetauscht wird. Bzw. was Leistungsaustausch überhaupt ist. Der Begriff kommt einfach nicht vor. Man kann nicht darüber Auskunft geben – man findet keine Worte für das, was man tut. Obwohl man vielleicht seit Jahren miteinander zu tun hat und oft genervt ist, dass das noch immer nicht so läuft, wie es soll.
Allenfalls beklagt man sich über die andere Seite und setzt selbst voraus genau zu wissen, was die Kollegin die ganze Zeit macht – oder machen sollte. Fragt man nach, was man denn für die eigene Arbeit von ihr braucht, blickt man in ein verdutztes Gesicht: „Ja, hm. Eigentlich… nichts – oder… wie so soll ich das nennen – sie soll mir schneller….“ und so weiter. Manche werden nachdenklich – wie kann es sein, dass man da so unbeholfen ist?
Was in solchen Situationen hilft, ist eine Selbstbeschreibung. Die benötigt man, weil der Austausch von Leistungen in einem Unternehmen über Schnittstellen erfolgt. Man „liefert“ etwas über eine Schnittstelle und bekommt dafür eine Leistung zurück. Oder man bekommt ein Recht, ein Budget oder eine Entscheidung „geliefert“ – wenn man etwas zu liefern hatte, weil es eine Anweisung dafür gab. Zum Beispiel liefert man einen Bericht über die Situation in Fernost und erhält dafür die Entscheidung, den Betrieb dort einzustellen. Oder man erhält einen Rat, weil man den von seiner Führungskraft erwarten darf – das „Recht auf Rat“.
Bei niedriger Dynamik kann man durch Steuerung regeln, wie eine Schnittstelle funktioniert. Das ist einfach und billig – der macht das und sie jenes. Basta. Bei hoher Dynamik rastet die Steuerung aus. Sie steht nicht mehr zur Verfügung.
Was jetzt? Jetzt es wichtig, dass beide Seiten einer Schnittstelle eine einigermaßen realistische Vorstellung von der anderen Seite haben. Sonst kommt es schnell zu Missverständnissen und Streit. Im Allgemeinen ist es so, dass diese Vorstellung in den meisten Unternehmen eine sehr irreale Vorstellung ist.
Klassisches Beispiel: man geht in die Produktion und lässt sich beschreiben, wie der eigene Vertrieb funktioniert. Da sitzen dann lauter komische Leute. Chaoten, die nichts arbeiten, nur Golf spielen, einen Dienstwagen dafür bekommen und so weiter. Man erfährt weiter, dass diese Vertriebler, obwohl sie eigentlich nichts Richtiges machen, trotzdem viel Geld dafür bekommen.
Geht man dann zum Vertrieb und lässt sich die Fertigung beschrieben, dann bekommt man dort die Beschreibung, dass da nur Bürokraten sind. Die immer das Gleiche machen. Und wenn man irgendwas Besonderes von ihnen will, dann haben sie tausend Argumente, warum das nicht geht. Kurzum – die haben keine Ahnung, was in der Welt eigentlich vorgeht – es ist ein Elend, aber irgendwie muss man eben damit zurechtkommen.
Wie gesagt, solange die Steuerung funktioniert, ist das egal. Aber wenn die Steuerung nicht mehr funktioniert und man realistisch über eine Schnittstelle hinweg miteinander umgehen will, muss das korrigiert werden. Und das korrigiert man dadurch, dass man eine Selbstbeschreibung initiiert.
Zu einer solchen gehört nicht nur, dass man sich selbst beschreibt, sondern auch, dass man das beschreibt, was man an Vorstellungen von der anderen Seite der Schnittstelle entwickelt hat.
Das heißt, ich beschreibe mich, und ich habe mich nur dann vollständig beschrieben, wenn ich auch zur Verfügung stelle, was meine Vorstellung der anderen Seite ist. Beides gehört dazu! Teil zwei wird allerdings (fast) immer ausgelassen – anstatt dessen tritt die Forderung: die sollten ´mal…
Und dann?
Wenn man schließlich zwei Selbstbeschreibungen hat, tauscht man die aus.
Jetzt wird es spannend. Manchmal lustig. Jetzt kann man nachschauen: wie sieht mich denn die andere Seite der Schnittstelle? Wie beschreibt die mich? Natürlich ist das nicht richtig. Jede Wette. Man kommt zwangsläufig ins Gespräch. Man interessiert sich füreinander. Man ist neugierig.
Man geht also auf die andere Seite der Schnittstelle, gibt dort quasi seine Selbstbeschreibung ab und fragt: habt ihr auch eine Selbstbeschreibung, kann ich die mit nach Hause nehmen? Das, was man dann an Geschriebenem hat, ist eine extreme Provokation, d.h. es regt zum Denken an. Probieren Sie es einmal aus! Man fragt sich: „Wie kommen die dazu, uns so zu sehen? Wo haben die denn diesen Unsinn her? Jetzt gehe ich gleich mal hin (wieder zurück über die Schnittstelle) und kläre die darüber auf, was hier denn tatsächlich der Fall ist.“
Jetzt ist man im Gespräch – was vorher gar nicht (mehr) möglich war. Dieses Verhältnis nennen wir konstruktive Widerständigkeit.
Man setzt sich damit auseinander, was man selbst tut und was man von der anderen Seite dafür benötigt. Was glauben wir, was von uns erwartet wird? Der Vorteil bei dieser Vorgehensweise ist, dass man der Organisation nun die Fachkompetenz beider Seiten zur Verfügung gestellt hat. Das ist einem Manager bei Dynamik sonst nicht als Ressource zugängig.
In der Praxis stellt sich dabei immer wieder heraus, dass es beliebig schwierig ist, die Dinge in Worte zu fassen und dann auch noch zu verschriftlichen. Man ist sich schon im Gespräch nicht sicher, was man denn für eine Vorstellung von sich und der anderen Seite hat. Und nun muss man es auch noch notieren. Aber ohne geht es unserer Erfahrung nach nicht. Man ist mit sich selbst zu nachlässig und kommt dann nicht an die Knackpunkte heran. Eine Harmonisierung der Schnittstelle gelingt so nicht.
Ein anderer möglicher Grund für diese Schwierigkeiten ist, dass man es nicht gewohnt ist, sich kritisierbar zu machen. Das könnte der Karriere schaden.
Von vornherein muss man wissen, dass man nicht alles beschreiben darf. Sondern nur das Wichtigste!
Man muss – und das ist ein gewisses Risiko – sich einfach einmal daran machen und wichtig von unwichtig unterscheiden.
Denn es gehört auch zur Selbstbeschreibung, Klarheit darüber zu haben, was man für wichtig hält und was nicht. Im Gespräch kann man dann darauf verweisen, dass man dies und jenes zwar auch tut, es aber nicht für wichtig erachtet und es deswegen in der Beschreibung auch nicht vorkommt. Dann kann es sein, dass man von der anderen Seite darüber belehrt wird, dass man es dort durchaus für wichtig hält.
Und wie immer gilt, man muss es auch mit der Selbstbeschreibung nicht übertreiben. Es geht ja darum, das Reden über eine Schnittstelle hinweg zu erleichtern. Vor allem, wenn man kaum noch miteinander geredet hat.
Wenn beide Seiten mit einfachen Beschreibungen in Stichwörtern zufrieden sind und dann konstruktiv miteinander umgehen, ist es gut. Es gibt keine abstrahierbare Qualitätsprüfung. Wenn man sich geeinigt hat, wer die anderen sind und was die wollen, reicht das vollkommen. Es ist aber – wie gesagt – ungemein selten der Fall.
Bis nächste Woche!
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