So ist er eben.

1. Dezember 2017 - Ralf Hildebrandt

„Er arbeitet sehr viel und sehr lange. Wahnsinnig fleißig, der neue Chef. Schnell ist er auch. Sehr intelligent. Er ist erst seit einem Jahr da, aber er hat die Kultur verändert. Er macht alles super genau und sitzt bis spät nachts am Schreibtisch. Das erwartet er auch von uns. Kritikfähigkeit ist nicht so seine Sache. Wir sind schon sehr überlastet. Er ist Teil des Problems. Das ist so.“

Das ist so? Würden Sie Ihrem Gesprächspartner zu einem zweiten Blick raten, werte Leserinnen und Leser? Wie?

Sobald man zur Erklärung einer Situation Charaktereigenschaften eines Menschen heranziehen muss, ist man auf dem Holzweg.

Die zwei- bis dreimal im Leben, wo das Gegenteil der Fall ist – geschenkt. Wenn Sie diese Haltung generell übend zu der Ihren machen können, lebt es sich vor allem für Sie selbst entspannter. Kurzfristige emotionale Entsorgung ist natürlich gestattet. 

Aber im Ernst. Es ist praktisch immer so. Eine Statistik dazu können wir zwar nicht bieten. Wir kennen aber keinen einzigen Fall, in welchem das Auswechseln einer Person eine Lösung gewesen wäre. Vielleicht können Sie das auch feststellen, wenn Sie mehr als nur 2-3 Jahre in einem Unternehmen verbringen. Selbstverständlich passiert immer irgendetwas, wenn der Nächste an der Reihe ist. Was man praktisch nicht erlebt, ist, dass das Problem durch den Wechsel verschwunden wäre. Es kleidet sich etwas anders ein. Aber es bleibt. 

Wechselt man die Person, die als Problem gesehen wird aus, bleibt das Problem.

Wenn das Problem tatsächlich verschwinden würde, wäre es ein kleines P gewesen. Und auch die Lösung wäre einfachst: weg damit. Vielleicht ist das Lösung-chen deshalb so populär, gerade weil es so besonders einfach ist. Es wird eine Menge Wirbel um die Menschen gemacht (Manager-Magazine, Gala & Bunte leben davon). Vielleicht vermutet man deshalb immer die Ursache in der Psychologie. Verschiebt man Charaktere wird´s schon werden. 

„Die Probleme von heute sind wesentlich komplexer. Sie verschwinden nicht durch das Auswechseln einer Person*.“

„Aber zumindest zu einem Teil ist er schon Schuld daran, wie es hier inzwischen zugeht. Also er ist nicht die alleinige Ursache, aber schon Teil des Problems. Denn vor ihm war es sicher anders.“

Würden Sie zu einem dritten Blick raten, werte Leserinnen und Leser? Wie diesmal?

Was ist Ursache und was ist Wirkung? Ist der neue Chef deswegen gekommen, WEIL man diese Kultur hat und WEIL solch eine Kultur auch vom Chef – von ganz oben – bedient werden will? Oder war es tatsächlich umgekehrt? Dass ein Mensch die Kultur mitgebracht hat?

In der Praxis ist das extrem selten. Es ist eigentlich nur theoretisch möglich und sehr unwahrscheinlich. Es ist vielmehr umgekehrt. Man hat sich in der Arbeit eine Kultur eingehandelt und DANN hat man einen Chef bekommen, der diese Kultur besonders gut bedienen kann. Eine Kultur benötigt nie den ganzen Menschen. Sondern nur ein paar wenige Funktionen. Es gibt Kulturen, die freuen sich ein Loch in den Bauch, wenn man fleißig ist (Fleiß im Sinne von Abarbeiten, Roboten).

Gerade ein besonders fleißiger Manager ist von einer Kultur am einfachsten zu integrieren. Vor lauter Arbeit und Überstunden kommt er gar nicht mehr zu einem Rundgang im Werk. Auch, wenn er das gerne möchte. Er hat dafür gar keine Zeit. Die Kultur wird sehr genau darauf acht geben, dass er diese Zeit auch nicht bekommt.

Denn ein Manager, der Zeit bekommt, fängt an zu Denken. Und so eine(r) ist für eine Kultur sehr irritierend. Denn er fängt ja auch irgendwann an, zu handeln. Und zwar nicht so wie die Kultur ihm das nahelegt. Sondern kreativ und intelligent. Ja, das ist kaum zu glauben. Besonders, wenn Sie kein Manager sind. Was das Gesagte aber auch nicht infrage stellt (s. Haltung oben). 

Und deshalb gibt es beinahe in jeder großen Organisation dieses Phänomen, dass ab einer bestimmten Hierarchiestufe die Menschen gnadenlos überlastet sind. Bis hin an die gesundheitliche Grenze. Der Grund dafür ist, dass sie keine Zeit haben, zu denken. Sondern nur noch funktionieren.

Auf der Suche nach (echten) Problemen, muss man sich das immer wieder einmal bewusst machen. Die Menschen sind nie das Problem. Üben, üben, üben. 

Bis übernächste Woche!

*Sicher – wenn sich jemand auf Kosten anderer die Taschen füllt, das gibt es. Dann verspricht Entsorgung Besserung. Das fällt in den Bereich Psychologie/Psychiatrie und nicht in die moderne Organisationsentwicklung. 

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