Talentwerkzeuge der Höchstleister

28. Januar 2016 - Ralf Hildebrandt

Wenn Dynamik dominiert, gibt es an vielen entscheidenden Punkten im Unternehmen ständig Überraschungen. Deshalb kann es dort weder feste Prozesse, noch Stellenbeschreibungen geben. Ob ein Mitarbeiter dort erfolgreich arbeiten wird, ergibt sich nicht aus seinem Profil. Entscheidend ist, ob ihm in dieser überraschenden Situation genügend oft eine passende Lösung einfällt oder nicht.

Höchstleister haben eine Reihe von Techniken entwickelt, um Talente sichtbar zu machen und so zu fördern, dass sie sich zu Könnern entwickeln können.

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Wir nennen diese Techniken Denkwerkzeuge. Sie beschreiben nicht Regeln für das Handeln, sondern Prinzipien für das Denken. 

1. An Talenten ist kein Mangel: obwohl fast alle Unternehmen darüber klagen, ist der Mangel an Talenten eine Täuschung. Sie kommt zustande, weil Talente ohne passende Anregung (eine Art positive Provokation) unsichtbar sind. Auch für den, der das Talent „besitzt“. Da Taylorismus keine Talente benötigt, blieben diese im Unternehmen unsichtbar. Nur in der Freizeit konnte man sie immer schon sehen.

2. Talente erkennen sich nur gegenseitig: weil Talente zunächst unsichtbar sind, ist Talentförderung ein Risiko. Zur Arbeit unter Risiko werden ebenfalls Talente benötigt. Auch die Personalabteilung benötigt Talente, um Talente zu finden. Diese Bedingung ist vergleichbar mit der Talentförderung in der Kunst.

3. Das „Widerständige Nest“: Eigenes Talent herauszufordern bedeutet ein hohes Risiko. Gerade bezüglich eigener Talente kann sich jeder überschätzen und dann scheitern. Wenn man Glück hat, wird man nur ausgelacht. Wenn man Pech hat, entsteht Schaden. Um den Talenten Mut zu machen, müssen sie „beschützt“ werden. Einen solchen kulturellen Schutzraum für Talente nennen wir ein „Nest“. Andererseits darf ein Scheitern für das Talent nicht unbemerkt bleiben, das wäre Verwöhnung, die wirksames Üben behindern würde.

Je einfacher und direkter die Bewertung mit dem Erfolg im Markt verknüpft wird, desto schneller kann das wirtschaftlich Richtige entwickelt werden. Wir nennen diese Nutzung der so genannten Widerständigkeit des Marktes „externe Referenz“. Komplizierte Messverfahren, Entscheidungsgremien oder gar Incentives sind immer interne Referenzen. Sie orientieren ein Unternehmen nach innen und machen es unaufmerksam für äußere Reize.

Die beiden Aspekte ergeben als Ganzes das so genannte „Widerständige Nest“. Bei Höchstleistern ist das die unternehmensinterne Umgebung, in der sich Talente zu Könnern entwickeln. Dieses Prinzip ist immer dann besonders nützlich, wenn extern referenzierte Höchstleistung benötigt wird.

4. Recht auf Karriere: Ob und zu welcher Höchstleistung ein Mitarbeiter im Stande ist, kann vorher nicht festgestellt werden. Erst am Ende einer Aktivität ist klar, ob jemand Talent hat (bezgl. des gegebenen Problems) oder nicht.

Beispiel: Ein Mitarbeiter möchte zum ersten Mal die Verantwortung für ein schwieriges Projekt übernehmen. Wenn sein Vorgesetzter den Eindruck hat, das er die negativen Konsequenzen eines eventuellen Scheiterns kennt, dann hat der Mitarbeiter das „Recht“ dieses Projekt zu leiten.

Auch hier ist wichtig, dass Erfolg und Niederlage extern referenziert sind. Zum Beispiel ist die Entwicklung eines Produkts, welches interne Qualitätsstandards erfüllt, sich aber nicht verkauft, eine Niederlage – und umgekehrt.

5. Meisterloge: Meister nennen wir Mitarbeiter, die sich auf Basis ihres Talents zu anerkannten Könnern entwickelt haben. Ab einem bestimmten Niveau, kann die Kommunikation unter diesen Meistern nur noch von diesen selbst betrieben werden. Alle anderen, besonders das Personalmanagement, sind mangels Kompetenz inhaltlich ausgeschlossen. Den entsprechenden Kommunikationsraum nennen wir Meisterloge.

Auf Basis ihrer erarbeiteten Kompetenz bieten diese Logen Leistungen an. Beim Logenthema Projektmanagement könnte dies von der Strukturierung beim Projektstart bis zur Sanierung von Havarien reichen. Diese Leistungen sind Angebote an Mitarbeiter in bedrängten Lagen.

Die Meisterloge existiert nur so lange, wie diese Angebote freiwillig und mit Gegenleistung genutzt werden. So „messen“ Höchstleister“ die Qualität ihrer Logen.

6. Meister – Schüler – Verhältnis: Die benannten Meister eines Unternehmens haben Recht und Pflicht, „Schüler“ um sich zu sammeln und zu fördern. Auch diese Meister-Schüler-Verhältnisse erfordern strenge Freiwilligkeit. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie sich in eine Lehrer-Schüler-Beziehung verwandeln.

Ein Lehrer hat die Aufgabe Wissen auf seine Schülern zu „übertragen“. Bei Erfolg besitzt der Schüler das ihm angebotene Wissen.

Das Wichtige am Meister ist nicht sein Wissen, sondern sein Können. Können klebt am Könner. Ein Meister kann sein Können nicht übertragen, er kann es nur zeigen. Wenn ein Schüler Talent hat, provoziert ihn das Können des Meisters und er wird so lange üben, bis er eigenes Können erreicht hat.

Anmerkung: Die Unterscheidung von Wissen und Können ist keine Unterscheidung von Menschen, sondern nur ihrer jeweiligen Funktion. Meister, Lehrer und Schüler sind mehr oder weniger dominierende Aspekte einer Person.

Beispiel: Einstellungsprozedur eines uns bekannten Höchstleisters

Die Talentsuche einer uns bekannten Personalabteilung ist ein gutes Beispiel für Talentorientierung:

bei hoher Dynamik entstehen ständig Probleme, für die es noch keine Lösungsidee gibt. Ein Anforderungs-Profil des Problemlösers kann nicht formuliert werden. Nicht Träger von Skill-Profilen werden benötigt, sondern Personen, deren Talent zum aktuellen Problem passt. Nur für einen begabten Bergsteiger ist ein unbekannter Gipfel eine Animation zur Leistung.

Das Unternehmen wählt seine Führungskräfte auf Basis dieser Überlegungen aus. Im Vorstellungsgespräch werden dem Bewerber einige der aktuellen Probleme des Unternehmens präsentiert. Fällt es ihm leicht, beeindruckende Ideen für eine Lösung zu nennen, ist er in der engeren Wahl. Ausbildung und bisherige Karriere werden nur am Rande in die Auswahl einbezogen.

Dieses Prinzip bestimmt auch die Karriere im Unternehmen. Noch während ein Talent ein Problem bearbeitet, wird das nächste für ihn ausgewählt. Nur wenn Talent und Problem gut zusammen passen, entsteht die Höchstleistung, die Zeit spart und Konkurrenzkraft erzeugt.

Folglich ist der Karriereweg eines Mitarbeiters eine Kette von gelösten Problemen (!).

Bis nächste Woche!

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