Verblödung durch einsame Genies

3. Mai 2024 - Ralf Hildebrandt

Werte Leserinnen, liebe Leser, 

im Beitrag von vorletzter Woche haben Sie darüber gelesen, dass Unternehmen verblöden wenn Menschen Organisationsstrukturen nutzen, in welchen sich deren Intelligenz nicht (mehr) unterbringen lässt. Beispielgebend dafür waren die Strukturen doppelt gemanagter Mitarbeiter, welche trotz vorhandener Intelligenz Chaos erzeugen. Der Beitrag dieser Woche liefert noch ein anderes Beispiel.

Verblödete Organisationsstrukturen können paradoxerweise nicht nur durch Doppelmanagement, sondern auch durch geniales Management entstehen.

Genial in dem Sinne, dass es sich bei dem fürs Managen zuständigen Menschen um eine Person von außergewöhnlicher schöpferischer Begabung handelt – einer Art organisatorischem Supertalent.

Geniale Leute können auf die Intelligenz normaler Leute verzichten, weil die Kompetenz Letzterer die Qualität genialer Entscheidungen nicht verbessert, sondern allenfalls bestätigen würde. Besprechungen von Talent und Normalos haben oft keinen anderen Zweck. Solange die Ideen des Supertalents zu den Anforderungen der (Markt-)Umgebung des Unternehmens passen, oder sie vorübergehend sogar bestimmen können, ist alles in Butter. Das Geschäft läuft, das Genie ist im Flow, schiebt Jahr für Jahr noch zwei bis drei geniale Ideen nach und gewöhnt sich daran, für alles Wichtige am besten auf sich selbst zu hören. Auch die Normalos gewöhnen sich daran, sie folgen den Entscheidungen ihres Genies blind und konzentrieren sich aufs Umsetzen. Allen geht es gut, die Laune ist bestens.

Wenn die Entscheidungen des Genies (immer verglichen mit denen der direkten Konkurrenten) aber nicht mehr ganz so genial und vielleicht nur noch von durchschnittlicher oder gar unterdurchschnittlicher Qualität sind, dann zeigt sich die Kehrseite der verführerischen Leichtigkeit supertalentierter Organisationsentwicklung. Denn unbemerkt ist die konstruktive Widerständigkeit mitdenkender Normalos während der genialen Zeiten verlorengegangen. Sie geriet in Vergessenheit, weil sie nicht gebraucht wurde, oder sie war noch nie da (wie es typisch für Startups ist, deren Gründung und Erfolg auf die geniale Geschäftsidee eines unternehmerischen Supertalents zurückgeht). Und gemeinsam mit der Widerständigkeit sind auch die kommunikativen Strukturen verschwunden, die die Intelligenz einer Vielfalt kompetenter Individuen einbeziehen können.

Jetzt, wo die flowigen Zeiten vorüber sind, werden solche Strukturen (wieder) gebraucht. Das vorübergehend genial geführte Unternehmen ist nun, wie jedes andere Unternehmen auch, darauf angewiesen, die volle ihm zur Verfügung stehende Intelligenz (und nicht nur die des Genies) als Lernumgebung für seine Entscheidungen zu nutzen. Für Genie und Normalos ist das eine große Umstellung. Das Genie muss sich vom gewohnt genialen Umgang mit Entscheidungen entwöhnen und an den Umgang mit widerständig mitdenkenden Normalos gewöhnen. Und die Normalos müssen sich nicht nur ans Mitdenken gewöhnen, sondern ihre Widerständigkeit auch organisieren. Und zwar so, dass sie erstens nicht ignoriert werden kann, was bedeutet, dass die Qualität ihrer Argumente hoch sein muss. Sich einfach nur über mangelnde Entscheidungsqualität zu beklagen, reicht nicht. Und zweitens muss Widerständigkeit so organisiert werden, dass sie Eindruck macht. Und das wiederum bedeutet, dass sich Normalos, bezogen auf den Aspekt einer Entscheidung zusammenrotten und ihre individuellen Standpunkte auf ein Wir verdichten. Denn im Gegensatz zu den Meinungen Einzelner, lässt sich ein starkes (organisiertes) Wir, selbst von einem dann und wann noch in genialen Zeiten schwelgenden Management, kaum mehr übergehen. Die Mühe lohnt sich auf jeden Fall, supertalentierte Organisationsentwicklung kann unter hoher Dynamik ohnehin keinen dauerhaften Konkurrenzvorteil bieten.

Entscheidend sind supergute Organisationsstrukturen, in welchen mit der Intelligenz ganz normaler Leute maximale Leistung möglich ist.

Bis übernächste Woche!

 

 

 

 

 

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