Flugunterricht für Vögel

25. November 2015 - Ralf Hildebrandt

Seit etwa 40 Jahren steigt die Dynamik der Märkte. Heute ist sie meist so hoch, dass fast nichts Bewährtes mehr funktioniert. Dort wo die Dynamik als qualitativ neue Problemursache übersehen wird, bleibt die Unternehmensentwicklung häufig in modischen aber konservativen „Innovationen“ stecken. Manchmal bis zum Verlust der eigenen Existenz.

Besonders bei hoher Dynamik ist es hilfreich, die Mitglieder eines Unternehmens nicht als Autoren ihrer Organisation zu sehen. Man kommt weiter, wenn Organisation als soziales System gedacht wird, welches sich „hinter dem Rücken“ der Akteure bildet und nicht nur aus den offiziellen Strukturen und Abläufen besteht. Erst dann kann verstanden werden, warum Organisation auf die gesteigerte Dynamik zwar lernend reagiert, die Ergebnisse aber immer wieder zerstört werden. Organisation lernt durch experimentieren. Deswegen entstehen immer wieder dynamikrobuste Bereiche. Ob man das will oder nicht.

Weil bei diesen Experimenten immer auch Regeln verletzt werden müssen, werden sie vom „Immunapparat“ der Organisation als Fremdkörper entsorgt. Im alten Denken dominiert die Auffassung die Organisation eines Unternehmens sei „dumm“ und könne von allein nicht lernen. Management und Beratung geben sich die Aufgabe („Pflichtanmaßung“), diese Dummheit konsequent und streng durch Belehrung und Anweisung zu reduzieren. Das zerstört das Gelernte immer wieder. Seine innovative Kraft bleibt unsichtbar.

Solange es auch die Konkurrenten nicht besser machen, entsteht kein bedrohliches Problem. Alle investieren in die gleichen Scheininnovationen (Sie kennen die jeweils aktuellen Management-Moden) und leiden und klagen, wegen der lästigen Marktdynamik.

Diese Situation ändert sich schnell, sobald ein Konkurrent auftaucht, der unter der neuen Dynamik nicht leidet, sondern sie als Waffe erzeugt um sie in Gebrauch zu nehmen. Solche Unternehmen nennen wir Höchstleister. Ihre Zahl und Größe wächst und es kommt immer wieder vor, dass in einer Region ganze Industriezweige absterben (Fotoapparate, Unterhaltungselektronik, Mobiltelefone…).

Manager von Höchstleistern versuchen nicht die „Dummheit“ ihrer Organisation zu überwinden, sondern suchen und nutzen ihre „Intelligenz“. Dazu benötigen sie weniger methodisches Wissen, sondern vor allem talentbasiertes Können. Moderne Manager fühlen, dass die heute dominierende Dynamik so viele Überraschungen erzeugt und so viele Ideen benötigt, dass die Möglichkeiten selbst der klügsten Köpfe nicht mehr ausreicht um diese Dynamik zu nutzen. Weil das Management von Höchstleistern zwar Teil, aber nicht Autor des Erfolges ist, kann es nur selten hilfreiche Aufklärung leisten.

Bei hoher Marktdynamik kann nur noch die Organisation eines Unternehmens genügend Komplexität entfalten, um Dynamik auszuhalten und zu nutzen. So ist die ehemals dumme Organisation, zum wichtigsten, aber meist ungenutzten Dynamikwerkzeug geworden. Höchstleister brechen die Dominanz komplizierter Prozesse und schaffen damit Platz für die Kompetenzen ihrer Talente. So können sie auf überraschende Situationen mit Ideen reagieren. Höchstleister reduzieren ihre Kompliziertheit um ihre Komplexität zu steigern.

Höchstleister sind also Unternehmen, die ihre eigene Organisation nicht mehr belehren, sondern von ihr lernen. Diese Unternehmen benutzen ihre Organisation, wie ein Jäger die Nase seines Jagdhundes.

Jede Organisation, auch die „dümmste“, reagiert auf die gesteigerte Dynamik ihrer Märkte. Sie stellt sich immer wieder lernend darauf ein. Solange aber konservatives Denken dominiert, erscheinen diese innovativen Inseln als Schlamperei und Ungehorsam. Sie werden als Quelle für innovative Organisationsentwicklung übersehen. So wird weiter versucht der Organisation den Umgang mit Dynamik beizubringen. Das ist ähnlich grotesk wie Flugunterricht für Vögel (frei nach Nassim Nicholas Taleb).

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Einer der wichtigen Faktoren für dynamikrobuste Höchstleistung ist ein Management, das nicht nur steuern sondern auch führen kann. Dabei ist wichtig einzusehen, dass nicht jeder Vogel fliegen kann. Nicht jeder Vogel kann fliegen und nicht jeder Manager kann führen. 

Nächste Woche geht es um die provokante Behauptung, dass man Führung nicht lernen kann.

Bis dann!

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