Kein Gnadenakt – Interesse & Bedürfnis, Teil 2

1. Juli 2015 - Ralf Hildebrandt

Schon im Alltagsbetrieb einer klassisch strukturierten Organisation ist eingebaut, dass Menschen in Bezug auf ihre eigenen Interessen (vgl. Interesse & Bedürfnis, Teil 1) Illusionen verkauft werden. Es ist besser, wenn sie ihre Interessen nicht erkennen können. Warum?

Das klingt provokant. Moral hilft aber nicht. Hier geht es um Höchstleistung.  Um die Notwendigkeit, mit der hohen Marktdynamik heute umgehen zu müssen. Oder eben abzusaufen. Also.

Ein klassisch strukturiertes Unternehmen hat einen Vorteil, wenn Mitarbeiter ihre Interessen nicht kennen. Denn die passen nicht zu denen des Kapitalmarktes. Stark vereinfacht erwarten die Investoren +10% Rendite. Jedes Jahr. Ein Mitarbeiter hingegen möchte sich auf Basis seiner Möglichkeiten entwickeln. Die meisten jedenfalls. Die Freizeitindustrie springt ein, wenn dies in der Arbeit nicht gelingt. 

Es wird allerhand getan, um diesen Konflikt zu verdecken. Das muss sein, wenn Möglichkeiten und Mittel fehlen, um damit konstruktiv umzugehen. Deshalb werden in Town-Meetings Hunderte Mitarbeiter auf den neuen Kurs eingeschworen. Ein Feuerwerk wird abgebrannt. Da geht es lang!
Das sind keine Veranstaltungen für Mitarbeiter. Sondern (indirekt) für den Kapitalmarkt. Das Management führt vor, wie man sich die Zukunft vorzustellen hat. Man weiß Bescheid. Man hat einen Plan. Eine sichere Anlage. Alles in Ordnung. Mitarbeiter sind von der Show meist beeindruckt und unterliegen vorübergehend einer Illusion. Genauso wie in zentral aufgesetzten Zukunftsprogrammen, geht es bei solchen Veranstaltungen keineswegs um die dynamikrobuste Entwicklung in Richtung Markt (s. hier – Zentrum und Peripherie).
Das darf man allerdings nicht einfach verurteilen. Denn es war einmal richtig als gesteuerte Organisation (Fließband, Effizienz, Quantität, Produktvertrieb, Call Center usw.) noch Höchstleistung war. Und weil man die Alternative nicht kennt, macht man so weiter. Mit mehr Druck, in immer neuer Verpackung. 

Die objektiven Interessen von Shareholdern (Kapitalgeber) und Mitarbeitern sind völlig unterschiedlich. Ein unauflösbarer Konflikt. Die Gewohnheit, diesen Konflikt für unausweichlich zu halten, hält das alte Misstrauen aufrecht. Alle die oben sind, sind Gegner. Der Interessenskonflikt ist unaufhebbar. Und man hat sich damit arrangiert. Das gehörte zur Industrialisierung dazu. Ab und zu hat man gestreikt. Danach konnte man wieder besser damit leben.  
Das Problem ist nur, dass man sich das im Wettbewerb heute nicht mehr leisten kann. Wie viel Zeit bleibt noch, bis selbstfahrende Autos mit Brennstoffzellen die deutsche Automobilindustrie um das halbe Geschäft gebracht haben? Man hat keine Kraft für interne Konflikte zu verschenken! Dafür ist es viel zu eng geworden! (noch ein Ausrufezeichen). Und doch ist die kollegiale Schauspielerei in top-down aufgesetzten Change-Meetings immer wieder der Versuch aller Beteiligten so gut wie möglich diesen Konflikt zu verdecken. Und damit Innovation zu verhindern. 

Eine moderne, wettbewerbsfähige Organisation ist darauf angewiesen, dass diese gegensätzlichen Interessen soweit wie möglich harmonisiert sind. Ganz wird das zwar nie gelingen. Aber die Zukunft des Unternehmens muss einigermaßen mit den Interessen der Mitarbeiter übereinstimmen. Weil man deren Intelligenz (Alltagskompetenz) dringend braucht. Weil das über Jahrzehnte in der Vergangenheit so nicht der Fall war, wird es noch einige Zeit benötigen. Von diesem Widerspruch aber muss das meiste verschwinden. Der Rest in der Auseinandersetzung wird dann durch das Gehalt beglichen. Da wird dann verhandelt. Und da kann man auch weiterhin versuchen sich gegenseitig über den Tisch zu ziehen. Ein Rest des Gegensatzes wird bleiben.

Um es noch einmal zu betonen. Die hohe Dynamik macht den „mitwollenden“ Mitarbeiter zur Notwendigkeit. Das ist kein Gnadenakt.

religious statue showing man hand trying to reach woman holding baby

Wenn die Mitarbeiter aus eigenem Interesse heute nicht ihre Intelligenz obendrauf legen, geht das Schiff unter. Sie müssen Wege finden, wie sie ihre eigene Intelligenz einbringen können. Weil sie sonst von nirgendwoher zu beziehen ist. Nur sie können wissen, wie man im konkreten Fall eine Idee im Alltag schnell testet und damit Schritt für Schritt vermarktet, was funktioniert. Und nicht das, was man irgendwann einmal entwickelt hat und nun mit Druck verkaufen muss. Voraussetzung dazu sind selbstorganisierende Strukturen (nicht mit Selbstbestimmung verwechseln).  Das kann das Management nicht leisten. Und die Mitarbeiter müssen das erst einmal erkennen (dürfen) und dann üben. Diese Rahmenbedingungen machen die Mitarbeiter heute objektiv unersetzlich.

Wenn beide Seiten das einmal verstanden haben, muss man nicht mehr streiken, um dem Unternehmen zu schaden. Es reicht dann schon schlechte Laune. Man ist inzwischen mehr als man glauben mag aufeinander angewiesen. 

Das war manchem heute zu abstrakt. Bitte um Vergebung. Und diesmal gibt es auch keinen Zündfunken – wir müssen ein wenig Acht geben. Keine Verwöhnung!
Aber nächste Woche dann wieder. Versprochen. 

Bis dann. 

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