Sind New Worker Flat Earther?

28. Oktober 2022 - Ralf Hildebrandt

Liebe Leserinnen, werte Leser,

über die „neuen Arbeitswelten“ haben Sie sicher schon gelesen, vielleicht stecken Sie ja mittendrin (wer nicht). New Work ist inzwischen ein alter Hut und tatsächlich stimmt das auch. Es wird sicher Unterschiedliches darunter verstanden, der Begriff selbst geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann (1930-2021) zurück. Mitte der Siebzigerjahre entwickelte er (s)eine Theorie der neuen Arbeit, also in etwa ein Jahrzehnt bevor sich post-tayloristische (dynamische) Märkte zu entwickeln begannen – siehe Wohlands Taylorwanne.

In seiner Arbeit beschreibt Bergmann, dass seit der industriellen Revolution (häufig auch heute noch) der generelle Zweck oder Grundgedanke von Arbeit in der Erledigung oder dem Abarbeiten von Aufgaben läge – besonders deutlich ist das am Beispiel der Fließbandarbeit zu erkennen. Den Menschen (von dem wir hier im Blog nicht so recht wissen, wer genau damit gemeint ist) sieht Bergmann als Mittel zur Zweckerfüllung im Zentrum der Arbeit. Seine Idee von einer neuen Arbeit, New Work, kehrt das um. Der New Worker soll nicht mehr reine Arbeit verrichten, sondern sich mit Hilfe der Arbeit selbst verwirklichen. Für viele steht New Work damit für eine moderne Arbeitswelt, wie sie ins 21. Jahrhundert passt, denn die ist folgerichtig nach Bergmann vornehmlich mitarbeiterorientiert. Wichtig im Arbeitsalltag sind Sinnstiftung, Freiheit und Selbstständigkeit.

Dagegen ist zunächst einmal auch gar nichts einzuwenden. Vielleicht hat New Work sogar ein wenig mit der hier oft beschriebenen Talentorientierung zu tun, es darf im Streben nach Selbstverwirklichung nur nicht zu romantisch werden. Dann liefen New Worker Gefahr zu „Flat Earthern“ zu werden.

Flat Earther haben sich die Welt so eingerichtet, wie sie ihnen gefällt – flach. Einige Tausend Mitglieder der Flat Earth Society scheren sich nicht um die Gestalt ihrer Lebensumgebung, sondern basteln sich einfach selbst eine. Wenn man dann in den USA zu einem Kongress zusammenkommt (es gibt Videos auf YouTube) bestätigen sich alle gemeinsam in ihrer Meinung, dass die Erde eine Scheibe sei. Das kann man so machen und es tut auch niemandem weh:     

Solange man seiner Umgebung nicht ausgeliefert ist, kann man sie sich so gestalten, wie man lustig ist. 

Wenn man als Unternehmen aber mit einem Markt, einem dynamischen obendrein, verbunden (gekoppelt) ist, dann kann man sich seine Umgebung nicht aussuchen – auch nicht als Mitarbeiter (dessen Umgebung wiederum das Unternehmen ist). Man kann dann nicht mehr einfach meinen, die Welt sei eine Scheibe und wir richten uns auf der mal so ein, dass wir uns erstmal selbst verwirklichen können. Dann können wir immer noch schauen, was der Markt so macht. So herum läuft es nicht, es läuft umgekehrt:

Ein Unternehmen und seine Mitarbeiter werden ständig von ihrer Umgebung (ihrem Markt) darüber belehrt, ob das, was man mit seiner Arbeit tut, was man dabei für richtig und sinnvoll hält, für die Umgebung Sinn macht,

nicht für sie selbst.

Das muss jeder (Mitarbeiter) einsehen, das steht nicht zur Disposition. Die Erde ist keine Scheibe und Märkte richten sich nicht nach persönlichen Befindlichkeiten. Wirtschaft ist eine äußerst brutale Umgebung, in der sich jedes Unternehmen behaupten muss. Wirtschaft ist nur freundlich, wenn auf Dauer ein konkurrenzfähiger Gewinn erzielt wird, sonst fliegt man raus.

Wenn ein Unternehmen seine Umgebung, der es ausgeliefert ist, ignoriert, dann ist die Zeit in welcher die Umgebung das Unternehmen noch als solches akzeptiert, begrenzt.

Wirtschaft und Markt müssen deshalb immer Teil der Diskussionen um Freiheit und Selbstverwirklichung sein. Sonst laufen New Worker Gefahr zu Flat Earthern zu werden.    

Bis übernächste Woche!

 

 

 

 

 

 

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