Widerständigkeit im Projekt

22. November 2024 - Ralf Hildebrandt

Werte Leserinnen, liebe Leser, 

wir verstehen unter einem Projekt eine Struktur in welcher Wissen erzeugt wird, um ein neuartiges oder in Teilen neuartiges Problem zu lösen. Grundlage projektierter Wissenserzeugung sind Ideen von hoher Qualität, wofür wiederum ein kommunikatives System vom Typ „Team“ Voraussetzung ist.

Dabei hat natürlich nicht das Team eine Idee. Ideen entspringen nicht der Kommunikation, auch wenn das manchmal so erscheinen mag, sondern dem Bewusstsein eines Team-Mitglieds. Ideen sind problembezogene Gedanken, und im Gegensatz zur Wahrnehmung von Ideen („ich hab´s“) ist die Produktion von Ideen, von trivialen Problemen einmal abgesehen (für deren Bearbeitung es auch kein Team bräuchte) außerordentlich anstrengend. Und weil es anstrengend ist, hält man (s)eine Idee, wenn man dann mal endlich eine hat, auch mindestens für gut, bei besonderer Anstrengung vielleicht auch für genial (sagt man natürlich nicht laut, das werden die anderen dann schon merken).

Das Letzte, was man sich im Zustand ideenumschmeichelter Leichtigkeit dann antun würde, wäre, sich selbst zu kritisieren. Im Gegenteil, nach der emotionalen Kraftanstrengung hat man das dringende Bedürfnis seine Idee in die Tat umzusetzen, um sich an ihrer Schönheit zu erfreuen. 

Und genau jetzt, voller Überzeugung, dass man Dank seiner Idee schon bald ein Problem weniger haben wird, ausgerechnet jetzt, in der Phase genialen Hochgefühls, ist Widerständigkeit (nicht Widerstand, der wäre destruktiv) als Element einer leistungsfähigen Projektkommunikation unverzichtbar:

Widerständige Kommunikation bedeutet nichts anderes, als die Leichtigkeit, mit der kompetente Leute eine Idee (also eine Wissensvermutung) kritisieren können, nutzbar zu machen,

selbstverständlich nicht aus Spaß am zerrupfen fremder Ideen, sondern im Sinne des zu lösenden Problems. Oder kurz und knapp:

Widerständigkeit bedeutet, die Leichtigkeit kompetenter Kritik zu nutzen,

weshalb nicht-kompetente Leute von Kritik ausgeschlossen sind.

Wenn widerständige Kommunikation möglich ist, dann steigert das die Qualität, oder die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei einer Idee um eine von Qualität handelt, enorm. Ohne Widerständigkeit wäre das Team gezwungen, ständig um den heißen Brei herumzureden. Oder, schlimmer noch, jede Idee für mindestens gut und also ausprobierenswert zu befinden – das Projekt würde in der Vielfalt der Ideen seiner Mitglieder ertrinken. 

Widerständigkeit ist natürlich unangenehm,

besonders für den jeweiligen Ideengeber. Kritik an schönen Ideen nervt, muss für maximale Ideenqualität aber ausgehalten werden können. Auch wenn das jedes Mal wieder aufs Neue schwerfällt, weil das Gefühl zwar voll von seiner Idee überzeugt ist, der Verstand aber weiß, sofern er Kritik schon einmal erlebt hat, dass nach Einsatz kompetenter Leichtigkeit vielleicht nicht mehr viel davon übrig bleibt. Wenn es so kommt, ist die Enttäuschung da, aber Schaden vom Projekt abgewendet. Zu reparieren ist „nur“ der emotionale Schaden eines Projektmitglieds, der durch Nestwärme aufzufangen ist. Die ist ebenso unverzichtbar wie Widerständigkeit, mehr dazu dann übernächste Woche. 

Bis dann!

 

 

 

 

 

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